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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten   …
»
    «Hören Sie auf!», unterbrach Theres ihn mit schriller Stimme, und ihr Körper bäumte sich gegen die Leibgurte. «Zur Hölle mit diesem Jesus Christus! Zur Hölle mit der Jungfrau Maria und allen verdammten Heiligen!»
    Blitzschnell presste ihr Reiffsteck die Hand auf den Mund, sodass nurmehr ein Röcheln entquoll. Die Konturen der Gesichter um sie herum verschwammen, die fleckigen Wände der Krankenstube bogen und beugten sich zu ihr herab.
    «Bitte, Herr Medizinalrat», flehte Lingg nun. «Schicken Sie nach einem Pfarrer. Nach einem katholischen, wenn möglich.»
    Doch als kurz darauf der Ravensburger Dekan und Stadtpfarrer Johann Evangelist Erath erschien, wurde alles nur noch schlimmer. In Theres’ Brust tobte ein Sturm der unterschiedlichsten Empfindungen   – Schmerz und Angst, Verzweiflung und unbändige Wut. Als Erath sein Weihwasser versprengte, schrie sie auf, als schleudere er sengende Flammen in ihre Richtung; als er ihr sein Gebetbuch vor Augen führte, schnappte sie verzweifelt nach Luft und keuchte: «Weg damit! Gott lügt! Gott ist ein Betrüger!»
    Medizinalrat Reiffsteck schlug ihr ins Gesicht, und Theres begann leise zu schluchzen.
    Offensichtlich ratlos fragte der Pfarrer: «Sie sagen, sie hatte bereits solcherlei Anfälle in Waldsee und im Rottenburger Arbeitshaus?»
    «Ja», antwortete ihm Lingg. «Wenn auch nicht von dieser Heftigkeit. Und in Rottenburg waren es wohl Gesichte, Erscheinungen. Meist des Nachts. Und dann diese Sache auf dem Kirchhof, wo ihr der Böse in persona   …»
    «Ach was», unterbrach ihn sein Kollege Stiegele. «Das erfindet die doch alles nur! Die weiß genau, wie das gemeine, wundergläubige Volk auf so etwas reagiert. Macht sich wichtig damit. Außerdem: Landstreicherinnen wie sie tun doch alles, um sich vor rechtschaffener Arbeit zu drücken. Ein wenig Hysterie und Gemütskrankheit zur Schau gestellt, und schon gibt’s ein warmes Plätzchen im Spital.»
    Er marschierte vor dem Krankenbett auf und ab, während Theres ihn stumm und mit schreckgeweiteten Augen beobachtete. «Fassen wir zusammen: Jene Anfälle äußern sich in Krämpfen, Convulsionen, in den heftigsten Bewegungen unter Schreien und Brüllen sowie in empörenden Lästerungen gegen Gott, Jesus Christus und die Mutter des Herrn. Da diese fraglichen Erscheinungen allem Anschein nach in der Hauptsache vor Publikum auftreten, kann meiner Ansicht nach keineswegs von einer dämonischen Einwirkung die Rede sein. Die günstigste Annahme ist die, dass eine krankhafte Anlage vorliegt, die indessen mit willkürlicher Verstellung verbunden ist und von der Patientin künstlich gesteigert werden kann.»
    Niemand widersprach. Da Theres nun so ruhig darniederlag, unternahm Dekan Erath einen weiteren Versuch, ihrer Seele näher zu kommen. Er ergriff ihre Hände, die als einzige Gliedmaßen nicht festgezurrt waren, und legte sie ineinander.
    «Lass uns gemeinsam beten.»
    Theres’ Hände zuckten und zappelten, bis sie endlich den fleischigen Fingern des Pfarrers entglitten waren. Sofort ballte sie sie wieder zu Fäusten und versteckte sie unter dem Betttuch.
    «Nein, nein, nein!» Alles drehte sich in ihrem Kopf, zugleich war ihr, als drücke ihr jemand die Schläfen mit einer Eisenklammer zusammen. «Gehen Sie, Herr Pfarrer. Es hat alles keinen Sinn. Der Böse kommt mich holen. Am Tage Maria Namen kommt er mich holen!»
    «Still jetzt!», herrschte der Pfarrer sie an. «Gib deine Hände her und bete!»
    «Nein!» Sie drehte den Kopf in Richtung Lingg. «Helfen Sie mir! Tun Sie den Pfaffen weg! Er soll mich nicht anfassen.»
    Amtsarzt Lingg sah sie nur hilflos an, während der Dekan weiterhin ihre Hände zu fassen suchte. Theres begann nun zu kreischen: «Zum Teufel mit dem Pfaffen», trommelte dabei mit den Fäusten auf ihn ein, warf den Kopf hin und her, bäumte sich gegen die Leibriemen, dass das ganze Bettgestell wackelte und wimmerte und schrie im Wechsel. Währenddessen brüllte der Ravensburger Oberamtsarzt im Flur nach dem Krankenwärter. Ein breitschultriger Riese stürzte herein und beugte sich über Theres’ Bett. Seine Pranken umklammerten ihre Arme so fest, dass sie aufschrie vor Schmerz.
    «Fixieren, Herr Medizinalrat?»
    «Jawoll, aber flugs!»
    Keine drei Atemzüge später waren ihre Handgelenke wieder an den Bettrahmen gegurtet. Sie gab auf.
    «Die Maske mit dem Chloroform!»
    Eine Art

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