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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Gemeinde, wohin es die Menschen zog, wenn sie Rat brauchten oder in Nöten waren. Hier aber suchte man den Pfarrer nach dem Gottesdienst in der Kirche auf oder drüben beim Schulhaus, wo Konzet zusammen mit dem Dorflehrer die Kinder unterrichtete. Ins Pfarrhaus selbst verirrte sich allenfalls mal ein fremder Hausierer oder ein Wanderer mit der Bitte um ein Stück Brot. Auch Gäste und Freunde empfing Konzet nicht bei sich zu Hause. Stattdessen pflegte er sich montags hinüber in den Adler zu begeben, zum Stammtisch der Dorfoberen. Unwillig nur ging er dorthin, schimpfte jedes Mal, welche Zeitverschwendungdiese Abende seien, und kam doch jedes Mal halbtrunken und laut durch die Diele polternd zurück.
    Einmal, als der Adler geschlossen hatte, war der Stammtisch ins Pfarrhaus verlegt worden. Da saßen sie dann alle um den großen Tisch in der Stube: der alte Lehrer, der Dorfschultes, der Müller, der Sattler, der Dorfschmied und ein reicher Bauer aus der Umgegend namens August Wohlgschafft. Dieser große, kräftige Mann hatte sich ihr als Einziger, mit einem frechen Augenzwinkern, namentlich vorgestellt. Bis spät in die Nacht musste Theres auftragen, einen Krug Roten nach dem andern, und sich bald schon zweifelhafte Komplimente anhören, vor allem seitens des reichen Einödbauern.
    «Jetzt sag du mir eines, mein lieber Konzet.» August Wohlgschafft hielt Theres am Handgelenk fest. Seine Hände waren schwer und fleischig. «Warum hast uns dieses hübsche junge Ding so lang vorenthalten? Willst das Mädle etwa für dich allein behalten?»
    «Mir hier im Dorf han die Theres bislang au nur in der Kirch g’sehn», nuschelte der Müller.
    «Ja, gibt’s denn das?», dröhnte Wohlgschafft. «Das Mädle ist jung. So was muss unter die Leut. Und nicht allabendlich versauern bei einem alten Seggl wie dir.»
    «Sprich nicht so liederlich daher.» Konzets Worte kamen langsam und verschwommen. «Die Theres ist brav und anständig, und das soll auch so bleiben.»
    «Deshalb musst sie ja nicht einsperren. Lässt sie denn net mal auf den Tanz?»
    Konzet schüttelte den kugelrunden Kopf. «Die hat das noch nie gewollt.» Er schenkte sich Wein nach, wobei ein Gutteil danebenging. Theres beeilte sich, einen Lappen zu holen und aufzuwischen. Hoffentlich hat das hier bald ein End, dachte sie.
    «Und fleißig ist sie dazu, deine Theres.» August Wohlgschafft schnaufte vernehmlich und lockerte sich die seidene Halsbinde. «Tätest mir die mal ausleihen? Meine Weiber daheim machen keinen Finger krumm.»
    «Jetzt lass aber gut sein, August. Du hast zu viel getrunken.» Dabei entfuhr Konzet gerade selbst ein unanständig lauter Rülpser. «Außerdem hast doch deine eigene Magd.»
    «Aber net so eine fesche.»
    Theres fand es schrecklich, wie da über sie geredet wurde, als sei sie Luft. Aber was konnte sie schon tun? Als endlich der letzte Gast zur Tür hinaus war, fragte sie ihren Dienstherrn: «Werden Ihre Freunde nun öfters herkommen?»
    «Der Herrgott – bewahre!», japste Konzet. «Ein Pfarrhaus ist das, keine Schenke.»
    Dann stürzte er an ihr vorbei in den Hof und übergab sich lauthals, noch bevor er den Abtritt erreichte.
     
    Der Pfarrer hielt Wort. Jener Abend blieb eine Ausnahme. Theres aber fragte sich, was schwerer zu ertragen war: eine angetrunkene Altmännergesellschaft, die wenigstens Leben in die Stube brachte, oder tagaus, tagein diese Totenstarre ringsum. Inzwischen verrichtete sie ihre Arbeit ebenso stumm wie Elisabetha, saß schweigend beim Pfarrer am Tisch, wenn sie gemeinsam zu Mittag oder zur Nacht speisten, machte sich allein und mit gesenktem Kopf auf den Weg hinüber zur Kirche. Sie durfte gar nicht daran denken, dass sie mindestens zwei Jahre hierbleiben musste. So sah es der Vertrag zwischen dem Waiseninstitut und den jeweiligen Dienstherren vor. Rieke hatte ihr sogar fünf Jahre nahegelegt, denn dann würde sie von der Stuttgarter Katharinenpflege einen Geldpreis und einen Ehrenbrief verliehen bekommen, der bei der weiteren Stellensuche Tür und Tor zu öffnen vermochte.
    Wenige Wochen nach dem Stammtischabend kam ein unerwarteter Gast: Gustav Rieke, der unterwegs nach Biberach war und bei seinem ehemaligen Zögling vorbeischauen wollte. Die Nachricht von Riekes Besuch bereitete ihr ein kurzes freudiges Herzklopfen. Gleich aber besann sie sich. Würde die Stille hier im Haus nach der Abreise des freundlichen Mannes nicht noch unerträglicher sein?
    Theres musste ein Mittagsgedeck mehr auftragen, dann

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