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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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dem Hemd. Wie hatte sie es nur so lange aushalten können ohne ihn!
    «Theres! Meine kleine Schwester!» Er drückte sie noch fester an sich. «Ich hab’s geahnt, dass du zuerst hier heraus kommst.»
    Irgendwann machte sie sich von ihm los und betrachtete ihn eingehend. Wie groß er geworden war! Und wie mager. Sein Gesicht hatte alles Kindliche verloren, es war blass, obwohl Hochsommer war.
    «Du hast ja gar keine Sommersprossen mehr. Und deine Haare sind ganz lang.»
    Er lachte. «Dich hab ich auch anders in Erinnerung. Hast mir gar nie geschrieben, dass du eine junge Frau geworden bist. Und dazu so hübsch.»
    Theres spürte, wie sie rot anlief. «Wie geht es deinem Fuß?»
    Unwillkürlich blickte sie auf seine abgetragenen Schuhe. Früher war er in der warmen Jahreszeit immer barfuß gegangen.
    «Es geht schon. Hab mich dran gewöhnt.»
    «Hat es sehr wehgetan, das mit der Sense?»
    «Schon.»
    «Aber jetzt ist alles verheilt, oder?»
    «Ja.» Sein Blick wurde plötzlich stumpf. Dann stupste er sie in die Seite. «Hast du Hunger? Berthe hat was vom Nachtessen für dich aufgehoben. Seit gestern wissen wir, dass du kommst.»
    «Berthe? Wohnt sie denn noch daheim?»
    Hannes zuckte die Schultern. «Der ist kein Mann gut genug.»
    Bei dem Gedanken, den Abend mit Berthe und ihrem Pflegevater zu verbringen, schauderte ihr.
    «Lass uns noch eine Weile hierbleiben. So wie früher.»
    Schweigend setzten sie sich auf den Boden, den Rücken an den warmen Fels gelehnt. Schließlich zog Theres die beiden Holzfiguren aus ihrer Schürzentasche.
    «Schau – ich hab dein Pferdchen immer noch. Und das andre ist von meinem Freund, dem Urle, von dem ich dir geschrieben hab.»
    Hannes wirkte gerührt.
    «Dass du das aufgehoben hast!» Er legte den Arm um sie. «Das mit dem Urle – das muss schlimm gewesen sein für dich. Es tut mir so leid, dass ich dich nie besucht hab.»
    «Dafür kannst du doch nichts.»
    «Ich mein, weil mir nie das Geld für eine Kutsche gereicht hat. Weißt du, ich verdien nicht viel. Das meiste muss ich als Kostgeld abliefern.»
    «Ist es wenigstens ein schöner Beruf, so als Dorfschreiber?»
    Hannes wurde verlegen. «Schreiben muss ich nur ab und zu. Da fällt nicht viel an in so einem Dorf. Ich mach halt alles, was es so braucht. Die Feuer- und Nachtwache, die Zäune abgehen, die Zinsen der Schuldlasten eintreiben.»
    Er verfiel wieder in Schweigen. Die Sonne tauchte als blutroter Ball in die Baumwipfel gegenüber, dann war sie endgültig verschwunden.
    «Gehen wir?» Er fasste nach ihrer Hand.
    Sie nickte. «Darf ich morgen mit dir zur Arbeit?»
    «Das musst du gar nicht.» Jetzt strahlte er wieder. «Ich hab für einen Tag freibekommen.»
    Theres entging nicht, wie umständlich ihr Bruder auf die Beine kam.
    «Das ist, weil mir schnell der Fuß einschläft», erklärte er. «Nach einer Weile gibt sich das wieder.»
    Doch als er dann in kleinen, mühsamen Schritten neben ihr herzuhumpeln begann, packte sie das Entsetzen. Ihr Bruder bewegte sich wie ein gebrechlicher alter Mann!
    «Was ist damals genau passiert?», fragte sie. Ihre Stimme zitterte.
    «Das weißt du doch. Ich hab mir die Sense in den Fuß gehauen.»
    «Und dann?»
    «Der Alte hat’s verbunden.»
    «Er hat keinen Wundarzt geholt?»
    «Nein. Erst viel später, als mir schon der Brand ins Bein geschlagen ist.»
    »Warum?» Dabei ahnte sie die Antwort schon.
    «Weil’s ihm zu viel Geld war, deshalb!» Hannes schrie die Worte plötzlich wütend hinaus. «Er hat sogar gesagt, dass ich selber schuld wär, wenn ich mich beim Heuen so dämlich anstellen würd.»
    Erschrocken legte sie ihm die Hand auf den Arm. Dieses Scheusal!, dachte sie. Dieses alte, geizige Scheusal! Nur wegen ihm würde Hannes sein Lebtag nicht mehr richtig laufen können. Nur wegen ihm würde ihr Bruder wahrscheinlich niemals eine Braut finden und eine Familie gründen können mit einem eigenen kleinen Hof, wie er sich’s immer erträumt hatte.
    Es war fast dunkel, als sie das Häuschen am Dorfranderreichten. Eine Gestalt löste sich vom Türrahmen und kam ihnen entgegen. Es war ihr Stiefbruder Marx, den sie fast nicht wiedererkannt hätte. Ein gestandenes Mannsbild war aus ihm geworden, mit seinem dunklen Schnauzbart und dem kantigen Kinn.
    «Was bist du groß geworden, Theres.» Er umarmte sie in aufrichtiger Freude. «Und fesch dazu. Da stehn die Burschen sicher Schlange!»
    Drinnen in der Stube hockte Nepomuk Stickl mit missmutigem Gesicht beim Krug Bier.
    «Kommt ihr

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