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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Konzets flammender Rede kurz zuvor als eine einzige Enttäuschung. Sie hatte sich Trost erhofft, ähnlich dem, wie sie ihn im Gotteshaus von Sankt Martin oder später dann in den Bibelstunden von Gustav Rieke erfahren hatte. Hier indessen blieb alles leer in ihr, nichts wärmte sie, nichts rührte sie an. Hinzu kam, dass die Blicke aller an ihr, der Fremden, klebten, und sie glaubte, überall ein Tuscheln zu vernehmen, das nur ihr gelten konnte. Der Schriftlesung vermochte sie kaum zu folgen, die Predigt prallte in hohlen Wortfetzen an ihr ab. Bei den Antwortpsalmen und Fürbitten blieb sie stumm, gerade so wie Elisabetha neben ihr, und als sie nach der Eucharistiefeier die Hostie entgegennahm, lag diese ihr schal und trocken auf der Zunge. Sie war froh, dass der Pfarrer sie bei der Spendung nicht einmal anblickte, und beeilte sich hinauszukommen in den kalten, dunklen Aprilabend, bevor die Dörfler auf den Kirchplatz strömen würden.
     
    «Du wirst sehen, bald schon fühlst du dich heimisch hier», hatte Gustav Rieke ihr damals zum Abschied gesagt. Kein bisschen hatte er recht behalten. Ein Vierteljahr war sie nun schon bei Pfarrer Konzet in Stellung, und alles hier fühlte sich noch enger als in Weingarten an. Zwar ging ihr die Arbeit leicht von der Hand, und auch an Elisabethas schweigsames Starren hattesie sich gewöhnt. Dennoch fühlte sie sich wie ein Hund an der Kette. Ihr Tagwerk beschränkte sich auf Haus- und Gartenarbeit, ihre Wege führten sie nur höchst selten über die Nachbarschaft des Pfarrhofes hinaus.
    Der winklig verbaute Dorfkern mit Kirche und Pfarrhof, Schulhaus und der Schildwirtschaft Zum Adler drängte sich auf einem Buckel am Rand einer engen Talmulde, die von einem Bach namens Dürnach durchflossen wurde. Weitläufig zerstreuten sich die übrigen Häuser in der Hügellandschaft, die mit Feldern und Waldstücken besetzt war. Die Höfe und wenigen Gewerbestätten und Mühlen zeigten sich in eher ärmlichem Zustande. Von Konzet hatte sie gehört, dass Böden und Klima rau waren und daher nicht viel hergaben. So waren die meisten Bauern im Dorf auf ein Zubrot durch Spinnen und Weben angewiesen, grad wie bei ihr auf der Rauhen Alb.
    Mit den Heranwachsenden des Dorfes kam sie nur sonntags in der Kirche zusammen, beim Gottesdienst und nachmittags dann, wenn sie für eineinhalb Stunden mit Pfarrer Konzet den Katechismus paukten. Der schimpfte hernach jedes Mal, wie mangelhaft die Jugend heutzutage ihren Verstand gebrauche und dass wieder ein Viertel die Christenlehre geschwänzt habe. War der Unterricht zu Ende, stand man gewöhnlich noch eine Zeit lang in kleinen Gruppen auf dem Kirchplatz herum, nur Theres blieb allein. Sie, die beim Pfarrer wohnte, schien den anderen wohl verdächtig, und schon bald hatte sie ihren Schmähnamen weg: Pfaffenmägdle. Auch vor ihrem Dorfpfarrer schienen die Jungen wenig Respekt zu haben. So laut, dass sie es hören konnte, zogen sie über ihn her, und Theres fühlte sich damit nur noch ausgestoßener. Da niemand sie ansprach, wanderte sie nach der Christenlehre ziellos und ganz allein im Dorf umher – zumindest in den ersten Wochen. Dann bemerkte sie, wie jeder ihrer Schritte von den Dörflern argwöhnischbeäugt wurde, und zog es vor, ihre sonntäglichen Freistunden im Garten des Pfarrhauses zu verbringen.
    Dort saß sie dann auf der wackligen Holzbank unter dem Nussbaum, neben sich die beiden Holzpferdchen, die sie tröstlich und schmerzhaft zugleich an ihre liebsten Menschen erinnerten. Neuerdings lag auch eine aufgeschlagene Bibel in ihrem Schoß. «Müßiggang ist aller Laster Anfang», hatte Konzet sie gerügt, nachdem er ihre Mußestunden im Garten beobachtet hatte, und ihr geraten, zu Gottes Wort zu finden, wann immer sich die Gelegenheit böte. Sie tat dies indessen nur zum Schein. Statt die Evangelien zu studieren, beobachtete sie heimlich die Hühner, hing dabei ihren Träumereien nach oder unterhielt sich im Stillen wie ein kleines Kind mit ihren Holzfiguren, die für Urle und Hannes standen. Wie es Sophie wohl erging? Ob ihr in Tettnang ein einfacheres Los beschieden war? Was hätte sie dafür gegeben, ihre beste Freundin bei sich zu haben!
    Hier draußen im Garten fand sie wenigstens Licht und Luft zum Atmen, hatte ein kleines Stückchen Himmel über sich. Das war allemal besser als jene Friedhofsruhe in dem düsteren Haus, in dem nicht einmal die Dielen zu knarren wagten. Theres hatte bislang immer geglaubt, ein Pfarrhaus sei das Herz einer

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