Die Bettelprophetin
abzutauchen. Immer dieselbe Gestalt erwartete sie dort, es war die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind im Arm. Doch das schmale Gesicht mit den dunklen Locken und Augen kam ihr nur allzu bekannt vor. Eine angstvolle Unruhe ließ sie im Bett hin und her zappeln, wenn die Gestalt ihr näher kam, in seltsam ruckartigen Bewegungen. Dabei veränderte sich das Gesicht der Erscheinung, wurde bei jeder Bewegung älter, mit blutleeren Lippen und grauen Strähnen im Haar, bis sich irgendwann der Mund öffnete und zu schreien begann: «Verschwinde aus meinem Leben, du Bastard. Lass dich nie wieder blicken, nie wieder!»
Zwei Wochen musste sie das Bett hüten, und die Hausherrin hörte nicht auf zu jammern, wie schlecht sie es mit dieser Magd getroffen habe. Als Theres schließlich eines Morgens wieder bei Rösle in der Küche auftauchte, schlug die die Hände überm Kopf zusammen:
«Meine Güte, jetzt seh ich erst, wie dünn du geworden bist! Und bleich wie ein Gespenst! Du solltest noch gar nicht arbeiten dürfen, so, wie du ausschaust.»
Theres zuckte die Schultern. «Es geht schon wieder. Außerdem …»
«Was außerdem?»
«Ich hab gehört, was die Schönfärberin ihrer Freundin gesagt hat. Dass sie mich vor die Tür setzt, wenn ich noch eine Woche länger krankfeiere.»
Die Köchin schnaubte wütend.
«Krankfeiern! Das sagt grad die Rechte. Die legt sich doch schon ins Bett, wenn ihr nur die Nase juckt! Warte.»
Rösle verschwand in der Vorratskammer und kehrte mit einem Stück magerer Rauchwurst zurück.
«Hier. Das hab ich versteckt für dich. Kräftig, aber nicht zu fett. Damit du keinen Rückfall kriegst. Ohne dich war’s hier nämlich kaum auszuhalten. Und unheimlich war’s auch, wie du nachts immer gehampelt und geredet hast. Sag – ist dir die Jungfrau Maria erschienen?»
Theres fuhr zusammen. «Nein!»
Sie wollte an diesen nächtlichen Alb nur ja nicht mehr erinnert werden. Im Stillen wunderte sie sich jedoch, wie Rösle davon wusste. Ob sie den Namen der Jungfrau im Schlaf ausgerufen hatte?
«Ach, übrigens …» Rösle schnitt ihr die Wurst in feine Rädchen. «Da hat schon zweimal jemand nach dir gefragt. Jemand ganz Besorgtes.»
«Der Klaudius?»
Rösle grinste. «Der doch nicht. Obwohl – der hat sich auch Sorgen gemacht. Nein, rat weiter.»
Theres kaute auf der Wurst herum. Sie schmeckte, wie alles im Augenblick, nach Pappe.
«Na los, rate: hellbraune Augen, hellbraunes Haar – schmaler Schnauzbart …»
«Adam?»
«Endlich! Und lächeln tust auch wieder. Sag bloß, der Adam gefällt dir.»
«Was du nur denkst! Er ist halt sehr nett. Weiter gar nix.»
Dabei mochte sie den Jungen aus dem Detailgeschäft wirklich ganz gern. Wenn er nur nicht immer so ernst wäre.
«Sag, Theres, stimmt es, dass er dich mal gefragt hat, ob du nach der Kirche mit ihm auf die Veitsburg gehst?»
Theres spürte, wie sie rot anlief. «Ja und? Aber die Schönfärberin hat es eh nicht erlaubt.»
Fassungslos sah die Köchin sie an. «Du hast sie um Erlaubnis gefragt?»
«Aber das musste ich doch!»
«Das geht die gar nix an! Oder bist du ihre Sklavin?»
«Du hast gut reden.» Theres wurde ärgerlich. «Du bist großjährig, ich nicht. Mir hält sie dauernd vor, dass sie verantwortlich ist für meinen Ruf und mein sittliches Betragen.»
«Sittliches Betragen – ha! Soll ich dir mal was verraten?» Rösle beugte sich an ihr Ohr und flüsterte: «Die ist selber verdorben bis ins Mark. Die betrügt nämlich ihren Ehemann.»
«Was? Du spinnst!»
«Leise. Wenn ich’s doch sag. Mit dem jungen Gesangslehrer von der Konstantia hat sie’s – sperr halt mal die Augen auf.»
Rösle hatte recht. Schon bei nächster Gelegenheit, als Giacomo Monteverdi seine Aufwartung im Hause Schönfärber machte, konnte Theres mit eigenen Augen sehen, wie beide, Mutter und Tochter, diesem schwarzgelockten Gecken verfallen schienen, der sich gleich einem Papagei stets in grellbunten Farben kleidete. Kaum hatte Theres ihn in die Stube geführt, wo Konstantia bereits mit vor Aufregung rotgeflecktem Gesicht am Fortepiano wartete, erschien auch schon die Hausherrin, zurechtgemacht wie für einen Staatsempfang.
«Bring uns ein Kännchen Ostfriesentee mit Kirschlikör», befahl die Schönfärberin, während der junge Italiener Theres mit seinen schwarzen Kohleaugen zuzwinkerte. «Und dann sorge dafür, dass wir nicht gestört werden bei den Gesangsübungen.»
Nachdem eine Stunde später die Pianoklänge samt
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