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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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die Schönfärbers es vornehm nannten, würde sie nun benutzen können. Von draußen hörte sie fröhliches Gelächter, dann ein Schnalzen und Peitschenknallen, bis die Wagenräder sich ächzend in Bewegung setzten.
    Aufgebracht kehrte sie in die Küche zurück, um aufzuräumen. Außer einem Rest Gemüse, der im Topf klebte, und einem steinharten Brot von letzter Woche hatte man ihr nichtszurückgelassen. Ihr Blick fiel auf die Vorratskammer: Der Schlüssel war abgezogen, das Schloss verriegelt.
    Die Stille im Haus war fast unheimlich, als sie Zimmer für Zimmer ablief und zur Gewissheit wurde, was sie bereits ahnte. Bis auf ihre Dachkammer und die Küche waren sämtliche Räume abgeschlossen. Wie konnten Menschen nur so niederträchtig sein? Selbst die Freude auf das Buch war ihr vergangen. Wütend gab sie dem Kater, der auf dem Fußabstreifer in der Diele döste, einen leichten Tritt, und das Tier sprang heulend davon.
    Nachdem sie die Küche höchst nachlässig geputzt hatte, füllte sie Wasser in den Topf mit den Gemüseresten und brockte das Brot hinein, um es aufzuweichen. Das würde für heute ihr Mittagessen sein – sie hatte schon Übleres zu sich genommen. Dann ging sie nach oben, öffnete die Luke ihrer Mansarde und ließ die milde Frühlingsluft herein. Von dem Birnbaum unten im Hof hörte sie Vogelgezwitscher, und allmählich wurde sie ruhiger. Nein, sie wollte sich diesen Tag nicht verderben lassen.
    Am späten Nachmittag endlich zog sie das Buch hervor und streckte sich auf ihrem schmalen Bett aus. Ein merkwürdiger Kupferstich fiel ihr ins Auge: Von der Spitze eines Kirchturms hing ein gesatteltes, reiterloses Pferd, während vom Erdboden her ein Mann mit seiner Pistole auf das Tier zielte. Theres begann zu lesen:
Ich trat meine Reise nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an und ritt weiter, bis Nacht und Dunkelheit mich überfielen. Nirgends war ein Dorf zu hören noch zu sehen. Das ganze Land lag unter Schnee; und ich wußte weder Weg noch Steg.
    Des Reitens müde, stieg ich endlich ab und band mein Pferd an eine Art von spitzem Baumstaken, der über dem Schnee hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Pistolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder und tat ein so
gesundes Schläfchen, daß mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis es heller lichter Tag war. Wie groß war aber mein Erstaunen, als ich fand, daß ich mitten in einem Dorf auf dem Kirchhofe lag! Mein Pferd war anfänglich nirgends zu sehen; doch hörte ichs bald darauf irgendwo über mir wiehern. Als ich nun emporsah, so wurde ich gewahr, daß es an den Wetterhahn des Kirchturms gebunden war und von da herunterhing. Nun wußte ich sogleich, wie ich dran war. Das Dorf war nämlich die Nacht über ganz zugeschneiet gewesen; das Wetter hatte sich auf einmal umgesetzt, ich war im Schlafe nach und nach, so wie der Schnee zusammengeschmolzen war, ganz sanft herabgesunken, und was ich in der Dunkelheit für den Stummel eines Bäumchens, der über dem Schnee hervorragte, gehalten und daran mein Pferd gebunden hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchturmes gewesen.
    Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Pistolen, schoß nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art wieder an mein Pferd und verfolgte meine Reise.
    Theres schloss die Augen und hörte in ihrer Phantasie das Pferd leise wiehern und schnauben. So deutlich vernahm sie den Pistolenschuss, dass sie auffuhr. Aber es war nur das Buch, das zu Boden gepoltert war. Sie rieb sich die Augen, beugte sich aus dem Bett und schlug die Seiten erneut auf. Wieder fand sich ein ganz und gar unglaubliches Bild, und sie las:
    Ein andres Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz, und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich ohnfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen
Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Kniee schloß, wieder herausgezogen hätte.
    Trotz aller meiner Tapferkeit und Klugheit, trotz meiner und meines Pferdes Schnelligkeit, Gewandtheit und Stärke, gings mir in dem Türkenkriege doch nicht immer nach Wunsche. Ich hatte sogar das Unglück, durch die Menge

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