Die Bettgeschichten der Meisterköche: Roman (German Edition)
kann sein Leben nicht auf die Erinnerung an einstige Vollräusche aufbauen.
Die Vorstellung, dass für Rab Zapfenstreich sein könnte, ist echt zu schräg. Das lässt mich daran denken, dass wir etwa im gleichen Alter sind und die gleiche Größe haben, wenn auch nicht das gleiche Gewicht. Kibby ist ein paar Zentimeter kleiner als ich und so etwa achtzehn Monate jünger. Daher muss er mittlerweile in der gleichen körperlichen Verfassung sein wie Rab oder zumindest rapide darauf zusteuern. Die begrenzte Ressource, die Kibbys Körper darstellte – sein Nervensystem, Leber, Nieren, Pankreas, Herz –, muss mittlerweile ziemlich im Wert gefallen sein. Anfangs war meine große Frage: Was, wenn Kibby stürbe? Nun heißt es: Kibby stirbt mit Sicherheit. Das ist unvermeidlich. Das muss jeder irgendwann, aber dank meiner fleißigen Hilfe läuft seine Zeit auf jeden Fall bald ab. Und ich kann und will meine Art zu leben nicht ändern. Warum auch, wenn doch Kibby mit seiner Gesundheit dafür bezahlt. Ich würde dann ja bloß aufhören, um Kibby am Leben zu halten – eine wahrlich perverse Vorstellung.
Aber …
Aber es ist Mord. Aye, Mord einer bizarren, übernatürlichen und Gott sei Dank nicht nachweisbaren Sorte, aber trotzdem Mord. Und wenn man den Gedanken weiterspinnt: Was passiert, wenn Kibby stirbt? Was wird aus diesem bewundernswerten Arrangement zu meinen Gunsten? Werde ich dann diese Last der Schmerzen jemand anderem aufbürden können?
Vielleicht funktioniert der Fluch dann ja doch bei diesem kleinen Arschloch Busby, wenn Kibby den Löffel abgegeben hat!
Oder werde ich mich dann sofort in ein aufgeschwemmtes, monströses, krankes, keuchendes Wrack verwandeln, das auf der Straße abkratzt, während ein kerngesunder Kibby sich wie Supermann aus seinem Sarg befreit? Dieses Szenario wäre natürlich nur recht und billig, aber dieser Scheiß hat mir schon zu viel Düsternis, zu viel morbide Faszination vor Augen geführt, als dass ich an die Möglichkeit irgendeiner Form von ausgleichender Gerechtigkeit glauben könnte.
Nein.
Das profane und wahrscheinlichere Szenario ist, dass ich von da an einfach mein Kreuz wieder selber tragen muss. Mich mit meiner Sterblichkeit abfinden muss. Dann soll es so sein, ich kann mich nicht beklagen, immerhin hab ich einen guten Vorsprung bekommen.
Aber er darf nicht sterben, nein, auf keinen Fall. Das darf ich nicht zulassen; so war das nie geplant.
Also nehme ich mir einen Dienstwagen aus dem Fuhrpark und heize die Glasgow Road herunter. Ich habe mir nie viel am Steuer eines Autos zugetraut, obwohl ich den Führerschein schon vor Jahren gemacht hab. Aber jetzt ist es total easy. Ich biege ab in die Siedlung, in der die Kibbys wohnen. Sie liegt in einem besseren Viertel der Stadt und besteht aus alten Häusern des sozialen Wohnungsbaus mit guten Folgeeinrichtungen. Es sind viele Bungalows dazwischen, und die Mehrfamilienhäuser sind meistens zwei-, gelegentlich auch dreistöckig. Das Haus der Kibbys habe ich schnell gefunden, es hat eine neue Haustür mit der Hausnummer und einem ziemlich seltsamen, fast schauer romantisch anmutenden Namensschild aus Holz, auf dem die dürren Ästchen der Buchstaben irgendwie hoffnungsvoll den Namen KIBBY bilden. Ich betrachte es einen Moment und spüre, wie meine Schultern in nervöser Vorfreude zittern.
Ich reiße mich zusammen und klingele.
Mrs Kibby, oder Joyce, wie sie sagte, macht mir auf. Sie ist eine spindeldürre Frau, und ihr Gesicht besteht nur aus spitzen Winkeln. Ihre Augen sind wie seine, groß und gehetzt. Ich habe kaum Zeit, die Eindrücke, die Gerüche und Geräusche des Kibby’schen Haushalts in mich aufzunehmen, doch mein erster Eindruck ist der, als wäre ich in einem Gebäude mit Publikumsverkehr, etwa im Lesesaal einer Fachbücherei oder im Wartezimmer eines Zahnarztes. Es ist das typische Wohnhaus aus der Sozialen-Wohnungsbau-Zeit zwischen den Weltkriegen, mit niedrigen Decken und den Türen von dieser Sorte, bei der das Weiß immer leicht zu vergilben scheint, magnolienfarben fast. Die Tapete ist zartblau mit einem gelben Blümchenmuster, das manche gerne »rustikal« nennen. Auf dem Boden liegt ein ausgesprochen geschmackloser blau-grün gemusterter Teppich, aber die Qualität fühlt sich beim Drüberlaufen ganz passabel an.
Mrs Kibby führt mich in die Küche, setzt den Teekessel auf und bittet mich, Platz zu nehmen.
– Wie geht es ihm?, frage ich im Flüsterton.
– Ach ja, natürlich …, sagt Mrs Kibby. –
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