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Die Bettgeschichten der Meisterköche: Roman (German Edition)

Die Bettgeschichten der Meisterköche: Roman (German Edition)

Titel: Die Bettgeschichten der Meisterköche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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sehr ihr Bruder sich verändert hatte.
    Skinner fiel es schwer, die Augen nicht ständig durch den Raum schweifen zu lassen. Er kam sich vor wie ein Anthropologe, der versuchte, hinter das soziale Gefüge einer seltsamen Stammesgesellschaft zu kommen. Dennoch war ihm in der Nähe von Brian Kibby unwohl. Es war beunruhigend, diesem miefenden, wabbelnden Fleisch so nahe zu sein, und er war es, der einen Widerwillen dagegen verspürte, Augenkontakt mit seinem alten Feind herzustellen.
    Das war nicht ganz einfach dank Kibbys Omnipräsenz, besonders auf dem gekachelten Art-déco-Kaminabsatz aus den Fünfzigern, auf dem sich ein Porträt von ihm ans andere reihte. Während die schweren Vorhänge an den Fenstern einen Großteil des Lichts schluckten, wie in Anerkennung der Tatsache, dass Kibby am besten im Schatten zur Geltung kam, dominierte ein Bild, das Skinners Blick immer wieder anzuziehen schien. Es war ebenfalls eins der großen Porträts des Kibby von früher; die dünne Leichnamhaftigkeit seines Teints kontrastierte mit den großen, feuchten Augen von fast unvergleichlicher Leuchtkraft – tatsächlich genau wie die von Caroline just in diesem Moment – und die dünnen, zarten Züge von Mund und Nase. Die aktuelle Version ertappte ihn gefesselt von diesem Bild vergangener Tage und warf ihm einen höhnischen Blick zu, der so wissend war, dass Skinner sich erst verunsichert und dann bloßgestellt fühlte. Echte Schuldgefühle nagten an ihm, als er daran dachte, was Kibby wegen seiner Schikanen hatte durchmachen müssen. Er begriff, dass er ihm auch schon beträchtlichen Schmerz zugefügt hatte, bevor dieser eigenartige, verheerende Fluch hinzugekommen war.
    Ja, dieses Ding da vor mir ist sicherlich eine andere verdammte Spezies als der junge Mann auf diesem Foto dort. Es ist ein Frankensteinmonster, eins, das ich allein mit meinen eigenen Exzessen geschaffen habe. Manchmal kann ich jedoch die Gegenwart dieses anderen Kibby spüren, der jungen Fotze, der mein Arbeitskollege war, mit dem ich zur Fortbildung gegangen bin und in der Mensa gegessen habe. Der Kerl, der rot geworden ist und sich verschluckt hat, wenn ich die angehenden Sekretärinnen und Friseusen von der Berufsschule anquatschte. Die Lusche, die sich in Grund und Boden schämte, wenn ich mich beiläufig zu den unzweideutigen Details irgendeiner sexuellen Begegnung geäußert habe, was in anderer Gesellschaft gar nicht meine Art war, aber die Wirkung, die es bei dem bedauernswerten Kibby erzielte, machte es unwiderstehlich. Allerdings fühlte ich mich anschließend total widerlich, was mir Kibby wiederum noch verhasster machte. Ich erinnere mich, was ich zu Big Rab McKenzie mal über den jungen Kibby gesagt habe: dass ich ihn hasse, weil er den Fiesling in mir weckte, eine Seite an mir, die mich anwidert und anekelt.
    Rab, Gott sei seiner schlichten Seele gnädig, hatte sofort eine Lösung parat: »Dann hau der Fotze doch die Fresse zu Brei.«
    Hätte ich nur auf den Rat des Großen gehört. Ich hab was viel Schlimmeres getan: Ich hab seine Seele zu Brei gehauen.
    Skinner beschloss, das Bild, das ihn verfolgte, zu ignorieren und sich wieder auf den realen Kibby aus Fleisch und Blut zu konzentrieren. Denn das stechende Unbehagen, das Kibbys bissige Bemerkungen und Blicke in ihm auslösten, war immer nur eine momentane Irritation, die nicht wirklich wehtat. Joyces Dankbarkeit über seine schlichte Würdigung des Essens und Carolines wohlwollendes Lächeln hingegen, vom Wein ganz zu schweigen, hatten eine berauschende Wirkung auf ihn.
    Tatsächlich schnappte er in diese eklig-wundervolle verschlagene Betriebsart zurück, der zu widerstehen er, wie er mit bittersüßer Traurigkeit wusste, zu schwach war. – Ich sag dir was, Bri, soweit ich höre, wirst du im Büro schmerzlich vermisst.
    Brian Kibby hob langsam seinen großen Kopf mit seinen vorquellenden Augen. Sein Mund stand offen, umrahmt von seinen schlaffen Gummilippen. Und doch war da etwas in seinen Augen, das nicht dazu passen wollte: ein resignierter, verrohter Schmerz, der über Zorn weit hinausging. Skinner sah darin das letzte Rinnsal von Widerstand aus Kibbys getretener Seele, das tröpfchenweise in die übel riechende Atmosphäre des Zimmers sickerte.
    Aye, Glück für Caroline, dass sie hier raus ist, dachte Skinner mit einem Blick auf sie und fühlte sich wie der Ritter in strahlender Rüstung.
    Kibby schnaufte leise. Die geringste Helligkeit quälte seine Augen. Das alltäglichste Geräusch

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