Die Bettgeschichten der Meisterköche: Roman (German Edition)
aus dem Gesicht. Während sie tief Luft holte, sah sie sich kurz in dem weißen, gähnend leeren Inneren des Hallenbads um. Kaum etwas hatte sich verändert, seit ihr Vater sie als kleines Mädchen mit hergenommen hatte: Noch immer beherrschte die große elektronische Anzeigetafel über der Tribüne mit ihren orangen Zuschauersitzen eine Wand, und auch das angrenzende Springerbecken war noch da.
Für einen kurzen Moment meinte sie sogar, die Gegenwart ihres Vaters zu spüren. Sie hatte seinen Phantomgeruch in der Nase, dieses leicht Muffig-Wohlige, das von ihm ausging und das sie für immer mit Maskulinität assoziieren würde. Sie sah sich nach den anderen Schwimmern um, doch der Eindruck, er sei in der Nähe, schwand aus ihrem Bewusstsein, so wie man aus einem Traum erwacht.
Sie erinnerte sich, wie sie Schwimmen gelernt hatte: seine großen Hände stets zur Stelle, um ihre zögernden Fortschritte abzusichern. Das war immer ihre gemeinsame Zeit gewesen, und Caroline hatte nie vergessen, wie aufgehoben sie sich in seinem Griff gefühlt hatte. Dabei waren es hässliche Hände gewesen, die sie hielten, beinahe schon Klauen: an den Fingern die Haut zu einem pergamentenen Gelb und entzündeten Rot vernarbt, in den Gelenken steif, von einem Unfall bei der Arbeit, über den er niemals sprach.
Sie erinnerte sich an sein pechschwarzes Haar, das er immer in der Mitte scheitelte, um das »V« der wachsenden Geheimratsecken zu verbergen, bis sie sich schließlich mit dem »O« auf seinem Hinterkopf zusammenzuschließen drohten, da gab er es auf und legte sich einen pflegeleichten Bürstenhaarschnitt zu. Da war dieser Desperate-Dan-Bartschatten, der die Aura von Stärke, die ihn umgab, noch unterstrich. Sie hatte das ganze Haus erfüllt und war erst im Verlauf seiner Krankheit schwächer geworden. Jetzt, nachdem er tot war, war sie mit ihm gestorben.
Anfangs fand sie in diesen Erinnerungen an ihn keinen Halt, sie schienen das Gefühl des Verlustes nur zu vertiefen. Es war, als hätte man ihr das Rückgrat herausgerissen. In ihrer Mutlosigkeit hatte sie mehr als sonst getrunken. Aber das hatte ihre Unsicherheit und Orientierungslosigkeit nur verstärkt – besonders, wenn es so weit ging, dass sie morgens in fremden Betten neben fast Fremden aufwachte und sich an kaum etwas erinnerte.
Als sie mehr und mehr begriff, dass sie das, was sie brauchte, nur in sich selbst finden konnte, nicht in der Umarmung eines Partners oder im Alkohol, begann sie wieder Kraft zu schöpfen. Ich komme auf meinen Vater, das haben mir alle immer gesagt, begann ihr Mantra. Was hat er mir mitgegeben?, fragte sie sich. Also ließ sie das exzessive Trinken sein und ging wieder ins Royal Commonwealth Bad.
Jetzt schwamm sie wieder. Ihr gefiel es hier: das Wasser, die Freiheit und das Losgelöstsein. Es schien sie ihrem Vater näherzubringen, denn das war ihr gemeinsames Ding gewesen, da weder Brian noch Joyce gerne schwammen. Und die Tränen, die ihr übers Gesicht liefen, konnten im Chlorwasser des Beckens aufgehen, und ihr todunglückliches Schluchzen ging über ins das Schnaufen der Kraftanstrengung, wenn sie durchs Wasser pflügte, bis ihr Arme und Beine wehtaten.
Und wie ihr Körper wurde auch ihre Moral gestärkt.
Brian Kibby spürte jedes Schwanken und Rucken des rüttelnden Busses; von dem abgestandenen Geruch nach altem Leder, Diesel und kaltem Schweiß wurde ihm flau. Für viele war es normale, alltägliche Routine, doch für seinen geschwächten, zunehmend unförmiger werdenden Körper und seine gemarterte Psyche war es zweimal täglich eine Dosis Hölle.
Murrayfield und das Rugbystadion waren schon vorbei, dann kamen Western Corner und der Zoo. Sein Zuhause lag am anderen Ende von Corstorphine. Er war ganz in Gedanken verloren gewesen und merkte nun, dass er nicht mehr genug Zeit hatte, den Ausgang zu erreichen; sein Körper war einfach nicht mehr in der Lage, sich schnell zu bewegen. Japsend quälte sich der junge Mann langsam und zum Unmut der übrigen Fahrgäste Richtung Tür.
Als er den Ausgang schließlich erreichte, hatten sich die Türen bereits wieder geschlossen, und der Bus fuhr an. Er konnte nicht einmal »Stopp« rufen, denn er wollte keine Aufmerksamkeit auf sein verquollenes, fleckiges, zerfallenes Gesicht mit den eingesunkenen, schwarzen Augen ziehen, auf seine vornübergebeugte Gestalt oder sein extremes Schwitzen und Geschnaufe. An der nächsten Haltestelle, Glasgow Street, kletterte er mit Mühe aus dem Bus, füllte
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