Die Beute
weniger als eine Minute. Lange genug, um erschossen zu werden.
Sie drehte den Stein in ihrer Hand. Matt hatte ihn gefunden, bevor sie losgerannt war. Er war größer als ein Tennisball, kleiner als ein Baseball und schwer wie ein Kricketball. Er hatte sie begleitet, als sie um die Scheune gelaufen war, und sie an ihre Aufgabe erinnert.
Sie bog die Finger ihrer rechten Hand, hob den Arm über den Kopf und streckte den Trizeps. Er fühlte sich angespannt an, doch das musste reichen. Sie hatte keine Zeit, um sich irgendwie aufzuwärmen. Sie atmete ein paar Mal tief ein, füllte ihre Lungen mit Sauerstoff, duckte sich und rannte so schnell sie konnte über die Lichtung.
Sie sprintete in den Garten, schlüpfte unter die Veranda, hielt die Luft an und lauschte, ob jemand hinter ihr her war. Stimmen drangen von der Vorderseite der Scheune zu ihr herüber. Sie sah über den Rand des Holzbodens und bemerkte, dass sie nur einen Steinwurf von der Stirnseite der Scheune entfernt war und nicht um die Ecke sehen konnte. Sie krabbelte voran, hielt sich geduckt und reckte den Hals. Als sie endlich jemanden sah, stieg Wut in ihr auf.
Matt, du Arschloch. Sie hatte ihn nur fünf Minuten allein gelassen, und schon war er wieder in der Gefahrenzone. Was zum Teufel machte er da?
Er stand auf der Terrasse in der Nähe der Brüstung und hatte die Hände erhoben – die Ellenbogen waren gesenkt, wie beiläufig. Und er humpelte. Auf sie zu – aber nicht zu ihr. Auf irgendetwas zu, das sie nicht sehen konnte.
Sie glitt ein wenig weiter voran, dann verwandelte sich ihre Wut in Angst. Matt ging auf Kane zu.
Der verrücktere der beiden Anderson-Brüder stand in der Nähe der Wand, ging rückwärts und bewegte sich unbeholfen, als sei er verletzt. Von ihrer geduckten Stellung aus konnte Jodie ihn nur zur Hälfte sehen, doch was sie sah, genügte ihr: Er hielt eine Pistole in Schulterhöhe.
Matt sprach sehr ruhig. Sie hörte das dunkle Rollen seiner Stimme über dem Scharren der Schuhe auf der Terrasse. Und dann hörte sie noch etwas. Etwas Schrilles. Als sie noch ein wenig näher kam, um besser sehen zu können, drückte sich Kane mit dem Rücken an die Wand.
Jodie gefror das Blut in den Adern. Er hatte Corrine. Und die Waffe war auf ihren Kopf gerichtet.
Jodie duckte sich. Mist, Mist. Und was jetzt? Sie umklammerte den Stein. Sie konnte aus zehn Meter Entfernung ein Ziel treffen. Sie verfehlte es nie. Es war eine nutzlose Fähigkeit. Bis heute. Jetzt konnte sie es sich nicht leisten, es zu verfehlen.
Sie blickte erneut über den Rand des Holzbodens und vermutete, dass Kane etwa zehn Meter von ihr entfernt stand. Sie wandte den Kopf. Ihr eigentliches Ziel lag auch in Schussweite. Es sollte eine Ablenkung sein. War sie nun nahe genug? Sie sah wieder Matt an. Er stand zwei Schritte von Corrine entfernt. Was hatte er vorher gesagt? Durch meine Schuld sind Menschen ums Leben gekommen.
Auch Angie war gestorben. Jetzt war sie hier. Genau wie Matt. Sie wussten beide, welche Folgen ein Fehler hatte.
Sie kniete sich richtig hin, legte ihren Arm zurück, zielte und warf den Stein durch die Dunkelheit.
Er zertrümmerte das Vorderfenster ihres Autos. Gleich darauf ging die Alarmanlage des Wagens los und zerriss die Stille der Nacht. Sie nahm sich nicht die Zeit, um ihren Wurf zu bewundern, sondern kroch schnell unter die Veranda. Ein schriller Schrei war über den Alarm hinweg zu hören.
Corrine. Jodie hielt sich am Rand der Terrasse fest und kniff die Augen zusammen. Das Blut rauschte in ihrem Kopf. Schau hin, Jodie. Sie ist deine Freundin. Du musst hinsehen. Sie hob den Kopf über die Kante.
Die Blinklichter ihres Wagens blitzten an und aus, synchron mit der Sirene, die Blinker vermischten sich mit dem Licht der Scheune und tauchten die Veranda in weiß- orangefarbenes Licht. Wie verrückte Discolichter. Eine Art Zeitlupentanz im Licht. Corrine, Kane und Matt bewegten sich – Kane stieß Corrine die Waffe an die Schläfe, Corrines Hand fuhr nach oben, Matt stürzte auf sie zu.
Corrine schrie erneut auf. Diesmal nicht so schrill wie vor ein paar Sekunden. Es war ein lauter Schrei. Dann sauste eine Hand herunter. Ihre Faust traf Kanes Oberschenkel. Er brüllte, ließ die Hand, in der er die Waffe hielt, sinken und fasste sich ans Bein.
»Lauf!«, schrie Matt.
Entsetzt sah Jodie, wie Corrine sich umdrehte und ihre Hände sinken ließ.
Herrgott noch mal, Corrine, nun lauf schon.
Und dann lief sie. Sie lief über die Terrasse, die
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