Die Beute
Treppe hinunter, rannte, humpelte, hüpfte und krabbelte wie verrückt auf ihrem verstauchten Knöchel über die Wiese in die Dunkelheit.
Jodie sah zur Veranda zurück. Was sie sah, ließ sie aufstehen, ihr Atem stockte. Matts Faust traf Kanes Gesicht, doch selbst vom anderen Ende der Terrasse aus konnte sie sehen, dass es zu spät war. Kane hatte bereits wieder die Hand gehoben und zielte mit der Pistole auf Matt.
34
Der Schuss übertönte die Alarmanlage. Der Schlag war so heftig, dass Matt nach hinten gerissen wurde. Er stieß mit der Hüfte gegen die Brüstung, und die Wucht des Aufpralls beförderte ihn über das Geländer der Veranda in den Garten, wo er verschwand.
Oh, Gott, nein! Jodie hielt sich unten am Geländer fest und beobachtete Kane, der zum Ende der Veranda ging und über den Rand blickte.
»Was zum Teufel …?« Es war Travis. Er stand mit blutverschmiertem Gesicht am Eingang und hielt die Flinte.
Kane jaulte freudig, hob eine Faust und schrie. »Ich habe Wiseman erwischt. Am Ende habe ich den beschissenen Cop doch noch erwischt.«
Jodie sank auf die Knie und ließ den Kopf auf den Boden unter der Veranda sinken. Nein! Nicht Matt. Sie hatte ihn wegen ihrer Freundinnen zurückgeschickt. Und Kane hatte ihn umgebracht! Sie fühlte nichts als Schmerz. Das war ihre Schuld! Sie presste die Stirn auf den Boden und konnte kaum atmen. Ihre Brust war hart wie Stein. Angie war tot, und jetzt war auch Matt tot. Sie hatte zwei Leben auf dem Gewissen.
»Hol die anderen beiden, und such diese zähe Schlampe«, schrie Travis. Er war wütend, seine Stimme kläffte über die Alarmanlage hinweg. »Wir holen das Zeug, machen die Weiber klar und verschwinden von hier.«
Ein Schuss durchriss die Nacht. Jodie hörte sich schreien, doch der Widerhall des Schusses übertönte den Schrei und donnerte vom Dach über die Terrasse die Hügel hinab. Kurz danach verstummte auch die Alarmanlage, die darauffolgende Stille war ohrenbetäubend.
Travis’ Stimme durchschnitt sie wie eine Kettensäge. »Jetzt mach doch mal, du gottverdammtes Arschloch!«
Jodie lauschte unter der Terrasse den Schritten auf der Veranda. In der plötzlichen Stille klangen sie noch lauter. Kane fluchte leise. Travis ging hinein, man hörte ein kurzes, raschelndes Geräusch auf dem Holzboden, ein Grunzen und Kratzen. Dann hörte man nichts mehr. Sie setzte sich hin. Travis war ins Loch hinabgestiegen.
Sie blickte wieder über den Rand der Veranda. Kane lehnte an der Wand und beugte sich über sein Bein. Auf seiner Jeans zeichnete sich ein feuchter roter Kreis ab, irgendwas ragte heraus. Die Nagelfeile, die sie Corrine gegeben hatte. Wut schnürte Jodie die Kehle zu.
Kane hatte Corrine eine Waffe an den Kopf gehalten und Matt erschossen.
Und nun würde er Louise und Hannah holen.
Angies Gesicht kam ihr in den Sinn. Nicht das, das sie in der dunklen Nacht gesehen hatte. Das andere. Das beim Hockeymatch. Das Gesicht, das wusste, dass Jodie jeden Schuss annehmen und ins Tor befördern würde. Auch einen Weitschuss.
Tu es, Jodie .
Das Spiel war noch nicht vorbei. Es war knapp davor, aber noch nicht vorbei.
Kane schrie auf, als er sich oben auf der Terrasse die Nagelfeile aus dem Bein zog.
Okay, Jodie, denk nach.
Du musst Louise und Hannah helfen.
Für Kane war es nicht weit zum Schlafzimmer am Ende der Scheune. Da konnte sie ihn nicht schlagen, egal wie schnell sie rannte. Also musste sie ihn stoppen, bevor er dort ankam.
Sie überlegte fieberhaft. Und plötzlich sah sie alles vor sich. Das Licht, das die Scheune wie ein Schutzschild umgab, die weit aufgerissene Haustüre, die beiden Fenster neben dem Kamin.
Sie stand auf und spähte durch das nächstgelegene Fenster. Ein Vorhang wehte im Wind, der durch das zerborstene Fenster strich, überall lagen umgekippte Möbel. Draußen auf der Terrasse standen die Kiste mit Brennholz, der Korbstuhl, der Verteilerkasten.
Sie hörte Schritte auf dem Holzboden, blickte auf und sah Kane, der sich von ihr fortbewegte. Er ging über die Veranda zum Schlafzimmer, nicht durch die Haustür.
Jodie zog ihre Schuhe aus und eilte in Socken durch den Garten. Als sie auf gleicher Höhe mit dem Kamin war, schlüpfte sie unter der Brüstung hindurch, ging auf die Wand zu, hob den Deckel zum Verteilerkasten und schaltete die Sicherungen aus.
Dunkelheit umhüllte sie. Erdrückend, beklemmend. Ihr Herz raste, sie keuchte. Sie blinzelte, sah nichts als Schwärze. Jetzt, Jodie. Wenn sie nichts sah, sah er auch
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