Die Beute
Corrine in die Hocke.
»Tut mir leid, dass ich dich in der Dunkelheit so herumgescheucht habe. Und auch, dass ich dich angebrüllt habe. Mir gefällt es hier einfach nicht.« Corrine sah zu ihr auf. »Und deine Stiefeletten sind gar nicht blöd. Ich würde mir ja selbst welche kaufen, wenn ich darin laufen könnte.« Sie versuchte ein Lächeln in ihre Stimme zu legen. »Wie geht es deinem Knöchel?«
»Er fühlt sich an, als hätte ich mir die Autotür darauf geknallt. Ich glaube kaum, dass ich laufen kann.«
»Dann ist es vermutlich besser, wenn wir dich samt Gepäck von der Straße wegschaffen. Ich gehe auf den Hügel und sehe nach, ob ich oben einen besseren Empfang habe. Wäre das in Ordnung?«
Corrine zuckte die Achseln. »Wenn du dann endlich zu brabbeln aufhörst.«
Jodie überlegte einen Moment und beschloss, sich jeglichen Kommentars zu enthalten. Sie half Corrine von der Straße wegzukommen, lief noch ein paar Mal hin und her, um das Gepäck zu holen, klappte schließlich das Handy auf und kontrollierte den Empfang, während sie den Hügel hinaufjoggte. Die Angst war jetzt zu einer Zwangsjacke geworden, machte ihre Glieder beim Rennen steif, ließ sie keuchen und hinderte sie daran, in einen gleichmäßigen Laufrhythmus zu fallen – doch rennen war immer noch besser, als still dazustehen und abzuwarten. So hatte sie wenigstens das Gefühl, irgendwie die Kontrolle zu übernehmen. Auf der Hügelspitze blieb sie stehen.
»Gott sei Dank, drei Striche«, schrie sie in Richtung Corrine und zählte fünf Klingelzeichen, bevor Louise ans Telefon ging.
»Hi, Leute. Wurde aber auch Zeit, dass ihr endlich kommt«, sagte sie. Louise klang glücklich und hielt sich offenbar irgendwo auf, wo es ziemlich laut war.
»Wir sind noch nicht auf dem Weg. Wir warten noch immer auf das Taxi«, sagte Jodie.
»Was?« Doch in der Frage schwang kein Entsetzen mit, sie klang eher wie eine Höflichkeitsfloskel.
»Ich sagte …«
»Warte mal, ich verstehe nichts.«
Jodie kniff die Augen zusammen. Sie wollte Louise heulen und schreien hören: »Keine Panik, gleich kommt ein Helikopter und rettet euch«, und sich nicht mit einem »Warte mal, ich drehe die Musik leiser« zufriedengeben.
»Wir sind in einem Pub und haben Whiskey Cola für euch bestellt«, sagte Louise.
»Schön, wir warten aber noch immer auf das verdammte Taxi«, zischte Jodie und wünschte sich gleich darauf, sie hätte das nicht gesagt. Sie wusste, dass es nicht Lous Schuld war, aber flotte Sprüche konnte sie momentan nicht ertragen.
»Oh, mein Gott. Ich dachte, ihr wärt schon bei der Tankstelle.«
Jodie hörte Hannah im Hintergrund und dann Louise, die das mit dem verdammten Taxi wiederholte.
»Warte, Hannah fragt irgendwen wegen des Taxis.«
Jodie hörte gedämpfte Stimmen und dann Hannah und Louise bestürzt ein paar Worte wechseln.
Lou kam wieder ans Telefon. »Das Taxi ist schon vor Ewigkeiten losgefahren. Irgendwer im Pub hat versucht den Fahrer anzurufen. Er geht aber nicht ans Telefon. Hier weiß auch niemand, wo er ist.«
Jodie versuchte ihre aufkeimende Panik unter Kontrolle zu kriegen. »Lou, schick irgendwen los, und zwar sofort.«
4
Matt stellte die Scheibenwischer an, um den dunstigen Belag zu lichten, der nun fast zu Nieselregen geworden war. Die Vorstellung, dass Jodie Cramer und ihre Freundin allein am Straßenrand standen, behagte ihm gar nicht. Er trat aufs Gaspedal und war froh, statt des zweisitzigen Lasters diesmal seinen Wagen genommen zu haben – damit würde er viel schneller vor Ort sein.
Er hätte sie nicht zurücklassen sollen. Er hatte sich schon so etwas gedacht, aber wegen ihrer Befürchtung, nicht rechtzeitig an den Schlüssel zu kommen, hatte er nicht auf seinen Instinkt gehört.
Das war das Problem. Er vertraute seinem Instinkt nicht mehr. Dabei hatte er sich immer auf sein Bauchgefühl verlassen. Die Polizeipsychologin hatte es als Notfallreflex bezeichnet, doch was wusste sie schon darüber, wie es war, wenn man richtig in der Klemme steckte? Er betrachtete sein Spiegelbild im Beifahrerfenster. Ohne sein Bauchgefühl konnte er auch seinen Job nicht mehr machen. Die Psychologin hatte es einfach als Verlust des Selbstvertrauens bezeichnet. Aber sie musste noch nie einen Schuss abgeben.
Matt erreichte die Kuppe des Hügels und bremste scharf. Jodie und die andere Frau saßen auf ihren Koffern am Straßenrand. Was zum Teufel machten die hier? Warum standen sie nicht gleich mitten auf der Straße und
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