Die Beute
betrachtete einen Augenblick ihr Spiegelbild. Es lag auch Sorge in ihrem Blick. Furcht war wohl der richtige Begriff. Er wusste genau, wie die aussah. Er hatte Menschen vor Furcht wimmern, schreien, ziellos herumrennen und sogar lachen gesehen. Und er hatte markerschütternde Angst gesehen. Er wandte seinen Blick wieder auf den von den Scheinwerfern des Autos beleuchteten Mittelstreifen und versuchte, nicht an die verstörten Gesichter zu denken, die in seinem Kopf herumgeisterten.
Er wusste nicht, warum Jodie Angst hatte – oder ob sie tatsächlich welche empfand. Er sagte sich einfach, dass es ihn nichts anging.
Nebel kroch über die Straße, verweilte an den Büschen, zog weiter. Matt kannte hier draußen jede Kurve – seit er als kleiner Junge im Laster seines Vaters mitgefahren war, hatte sich nichts verändert, doch jetzt heftete er seinen Blick in die Ferne, hütete sich vor Kängurus auf der Straße und seinen eigenen düsteren Gedanken. Als in der Ferne endlich die Lichter der Tankstelle auftauchten, brach er das Schweigen.
»Der Leihwagen muss erst geputzt werden, ich setze Sie lieber im Pub bei Ihren Freundinnen ab«, sagte er. »Wenn er sauber ist, bring ich ihn vorbei.«
Jodie wirbelte herum. »Ich kann gerne warten.«
»Du machst wohl Witze?«, sagte Corrine. »Ich warte keine Sekunde länger. Pub klingt großartig.«
Jodie schüttelte den Kopf. »Nein, Sie haben heute Abend schon mehr als genug für uns getan. Ich warte und hole die anderen vom Pub ab, dann müssen Sie nicht noch mal losfahren.«
Das war ein nettes Angebot. Vielleicht war sie ja für eine halbe Stunde eine interessante Gesellschaft – und die hatte er schon eine ganze Weile nicht mehr gehabt. Er beäugte sie im Wagen und betrachtete die Linien um ihren Mund. Was bildest du dir ein, Matt? Sie wollte ihre Zeit nicht mit ihm verbringen, sie wollte nur so schnell wie möglich den Wagen mieten.
»Das wird zwanzig Minuten dauern, außerdem fahre ich sowieso zum Pub. Der Alte nimmt am Dartwettbewerb teil.« Noch während er das sagte, fuhr er an der Tankstelle vorbei zum Pub, der zwei Häuserblocks weiter an der Hauptstraße lag. Er parkte davor, stieg aus, öffnete die hintere Tür und half Corrine heraus. Während er sie herausbugsierte, war Jodie bereits um den Wagen herumgekommen, stand neben ihm, starrte den Pub an und machte keinerlei Anstalten hineinzugehen.
»Ziemlich voll da drin«, sagte Jodie.
Matt sah zum Pub. Es war ein typischer Landgasthof, ein Ecklokal, dessen große Fenster zu jeder Straßenseite hinausgingen, mit einer gekachelten Fassade und einem Balkon im ersten Stock. Vom Wagen aus konnten sie direkt ins Hauptlokal sehen. »Der Dartwettbewerb ist ein großes Ereignis.« Er sah Corrine an. »Brauchen Sie Hilfe?«
Sie stützte sich auf Jodie. »Es geht schon. Und nach einem guten Schlückchen vermutlich noch besser.« Sie stieß sich vom Wagen ab und warf Jodie einen finsteren Blick zu. »Worauf wartest du noch?«
5
Jodie drückte sich gegen Matts Wagen, sah durch das Fenster in die überfüllte Bar und überlegte, was zum Teufel sie heute Nacht so verdammt erschreckt hatte.
Auch ohne den Unfall und die Warterei auf der dunklen Straße erhöhte so eine Bar ihr Stressniveau. Sie vermied es, zwischen lauter Fremden eingepfercht zu sein, weil sie dann stets nach demselben Gesicht Ausschau hielt: lange Haare, Knopf im Ohr und abgeschlagenem Vorderzahn.
»Jetzt komm schon«, drängte Corrine ungeduldig und versuchte sie vorwärtszuschieben.
Zwanzig Minuten in Matts Wagen hatten genügt, um die Angst herunterzufahren, die sie am Straßenrand überkommen hatte. Doch jetzt spürte Jodie, wie sie wieder von ihr erfasst wurde. Aber es gab kein Entrinnen mehr. Allein kam Corrine nicht hinein. Es gab keine Alternative. Matt hatte von einer halben Stunde gesprochen. Also, Jodie, bestell einen oder auch drei starke Drinks, und bring es hinter dich. Sie legte ihren Arm fest um Corrines Hüfte und sagte dann: »Also los.«
Als sie durch die Tür kamen, schlug ihnen der Geruch von Bier entgegen. Ausgelassenes Gelächter begleitete sie den kurzen Flur entlang zu einer Glastür. Sie entdeckte Louises schulterlangen, wirr gelockten Haarschopf an der Bar, der hin und her schwang, während sie sich mit dem Barmann unterhielt. Hinter ihr hoben ein paar Trinkfreudige die Arme und prosteten sich zu. Jodie stieß die Tür auf, Corrine humpelte hindurch und sah, wie Lou ein »Oh, mein Gott« mit ihren Lippen formte.
»Oh,
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