Die Beute - 2
fand die Gesellschaft tödlich langweilig. Er behauptete nur, sich gerade hier zu langweilen, weil er das für »schick« hielt, denn in Wirklichkeit amüsierte er sich nirgends. In den Tuilerien, bei den Empfängen der Minister verschwand er hinter Renées Röcken. Doch sobald es um irgendeinen Streich ging, wurde er wieder Herr und Meister. Renée wollte das Séparée am Boulevard wiedersehen, und der breite Diwan entlockte ihr ein Lächeln. Dann führte er sie so ziemlich überallhin, zu den Dirnen, auf den Opernball, hinter die Kulissen der kleinen Theater, kurz, an alle zweideutigen Orte, wo sie mit dem unverhüllten Laster in nächste Berührung kommen und dabei die Annehmlichkeiten des Inkognitos genießen konnten. Wenn sie sich dann wie zerschlagen ins Palais zurückgestohlen hatten, schliefen sie engumschlungen ein, schliefen den Rausch des schmutzigen Paris aus, während ihnen noch Fetzen schlüpfriger Couplets in den Ohren klangen. Am nächsten Tag machte Maxime die Schauspieler nach, und Renée versuchte, am Klavier des kleinen Salons die heisere Stimme und die Hüftverrenkungen von Blanche Muller in ihrer Rolle als schöne Helena118 nachzuahmen. Die Musikstudien ihrer Klosterzeit dienten ihr nur noch dazu, herzlich schlecht die Couplets der modernen Possenspiele wiederzugeben. Sie hatte eine heilige Scheu vor ernsten Weisen. Gemeinsam machten sie sich über die deutsche Musik lustig, und Maxime hielt sich für verpflichtet, den »Tannhäuser« auszupfeifen, teils aus Überzeugung, teils um die gepfefferten Refrains seiner Stiefmutter zu verteidigen.
Eines ihrer Hauptvergnügen war das Schlittschuhlaufen. Diesen Winter war der Eislauf die große Mode, denn der Kaiser hatte als einer der ersten das Eis auf dem See im Bois de Boulogne erprobt. Renée bestellte bei Worms ein komplettes polnisches Kostüm aus Samt und Pelzwerk; Maxime sollte weiche Stiefel und eine Fuchspelzmütze tragen. Bei einer wahren Wolfskälte, von der ihnen Lippen und Nase prickelten, als hätte der Wind ihnen feinen Sand ins Gesicht geblasen, langten sie im Bois de Boulogne an. Das Frieren machte ihnen aber Spaß. Der Bois war über und über grau, der Schnee auf den Zweigen sah aus wie zarte Gipürspitze. Und unter dem blauen Himmel und über dem zugefrorenen glanzlosen See bauten immer noch die Tannengruppen der Inseln, die der Schnee ebenfalls mit breiten Spitzen besetzt hatte, ihre Theaterkulissen vor dem Horizont auf. Wie Schwalben, die dicht über dem Boden dahinschießen, glitten die beiden in die eisige Winterluft hinaus. Die eine Hand hinter dem Rücken geballt, legten sie sich gegenseitig die andere auf die Schulter, liefen auf der weiten Fläche, die mit dicken Stricken abgegrenzt war, aufrecht, lächelnd, Seite an Seite dahin und drehten sich umeinander. Oben, von der großen Allee her, gafften Neugierige. Zuweilen kamen die beiden, um sich an den am Seeufer entzündeten Feuern zu wärmen. Und abermals enteilten sie. Sie holten zu weiten Bogen aus, und ihre Augen tränten vor Vergnügen und Kälte.
Als dann der Frühling kam, erinnerte sich Renée ihrer früheren elegischen Anwandlungen. Maxime mußte nächtlicherweile bei Mondschein mit ihr im Parc Monceau Spazierengehen. Sie wanderten zur Grotte und setzten sich vor der Kolonnade ins Gras. Doch als Renée den Wunsch äußerte, eine Fahrt auf dem kleinen See zu unternehmen, bemerkten sie, daß bei dem Nachen, den man vom Palais aus am Rand einer Allee liegen sah, keine Ruder waren. Man brachte sie wohl jeden Abend in Sicherheit. Das war eine Enttäuschung! Zudem wurde den Liebenden die große Dunkelheit im Park unheimlich. Sie hätten sich dort ein venezianisches Fest gewünscht, mit roten Lampions und Orchestermusik. Lieber war er ihnen bei Tage, am Nachmittag, und oft setzten sie sich dann an eines der Fenster des Palais und beobachteten die Equipagen, wie sie durch die kunstvoll angelegte Kurve der großen Allee rollten. Dieser reizende Winkel des neuen Paris gefiel ihnen, diese liebenswürdige, reinliche Natur, die samtigen Rasenflächen, die von Blumenbeeten und auserlesenen Sträuchern unterbrochen und mit prachtvollen weißen Rosen umsäumt waren. Die Wagen kreuzten sich hier so zahlreich wie auf einem Boulevard; die Spaziergängerinnen ließen lässig ihre Röcke schleifen, als hätten sie noch ihre Salonteppiche unter den Füßen. Und durch das Blattwerk schauend, kritisierten sie die Toiletten, zeigten einander die Gespanne und genossen die Süße der zarten
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