Die Beute - 2
ins Haar und flüsterte mit leicht bebender Stimme: »Ich bringe sie dir morgen abend in dein Zimmer … ohne Wechsel …«
Doch sie behauptete lebhaft, es sei nicht so eilig, sie wolle ihn keinesfalls so sehr bemühen. Er, der soeben sein ganzes Herz in jenes gefährliche »ohne Wechsel« gelegt hatte, das ihm zu seinem Bedauern entschlüpft war, hatte scheinbar nichts von einer Abfuhr verspürt. Er stand auf und sagte: »Nun, ganz wie Sie wünschen … Ich werde Ihnen die Summe im gegebenen Augenblick beschaffen. Larsonneau wird, wohlverstanden, nichts damit zu tun haben. Ich will Ihnen damit ein Geschenk machen.«
Er lächelte treuherzig. Renée blieb in quälender Angst zurück. Sie fühlte, daß sie das bißchen Gleichgewicht, das ihr noch verblieben war, verlieren würde, wenn sie sich ihrem Mann auslieferte. Ihr höchster Stolz bestand darin, mit dem Vater verheiratet zu sein, aber nur dem Sohn als Frau anzugehören. Oft, wenn sie Maxime kühl fand, versuchte sie, ihm mit recht deutlichen Anspielungen die Lage klarzumachen. Allerdings blieb der junge Mensch, statt ihr, wie sie erwartete, nach solchem Bekenntnis zu Füßen zu fallen, völlig ungerührt, da er zweifellos glaubte, sie wolle ihn nur hinsichtlich der Möglichkeit eines Zusammentreffens von Vater und Sohn im grauseidenen Zimmer beruhigen.
Kaum war Saccard hinausgegangen, als sie sich hastig anzog und anspannen ließ. Während ihr Kupee sie nach der Ile SaintLouis trug, überlegte sie, auf welche Weise sie die fünfzigtausend Francs von ihrem Vater erbitten könnte. Sie klammerte sich an diesen plötzlichen Einfall, ohne über ihn nachdenken zu mögen, denn im Grunde fühlte sie sich sehr feige und war von einer unbezwingbaren Angst vor einem derartigen Schritt gepackt. Als sie angelangt war, wurde ihr eiskalt von der Feuchtigkeit und klösterlichen Düsternis im Hof des Palais Béraud, und als sie die breite Steintreppe emporstieg, auf der die hohen Absätze ihrer kleinen Stiefel furchtbar hallten, wäre sie am liebsten davongelaufen. In ihrer Eile hatte sie die Dummheit begangen, ein mattbraunes Seidenkleid mit breiten, weißen Spitzenvolants zu wählen, das mit Seidenschleifen verziert und durch einen schärpenartigen Faltengürtel unterteilt war. Diese Toilette, durch eine kleine Toque120 mit einem großen weißen Schleier vervollständigt, wirkte so seltsam in der trüben Langeweile des Treppenhauses, daß es ihr selbst zum Bewußtsein kam, welch merkwürdige Figur sie hier machte. Sie zitterte, während sie die Flucht der strengen, großen Räume durchschritt, wo die verschwommenen Gestalten des Gobelins an den Wänden überrascht zu sein schienen von diesem Schwall von Frauenröcken, der durch das Halbdunkel ihrer Einsamkeit rauschte.
Renée fand ihren Vater in einem nach dem Hof zu gelegenen Salon, wo er sich gewöhnlich aufhielt. Er las gerade in einem großen Buch, das auf einem an der Armlehne seines Sessels angebrachten Pult lag. An einem der Fenster saß Tante Elisabeth und strickte mit langen Holznadeln, und in der Stille des Raumes war nichts als das Ticktack dieser Nadeln zu vernehmen.
Befangen setzte sich Renée; sie konnte keine Bewegung machen, ohne durch das Knistern der Seide den strengen Ernst des hohen Zimmers zu stören. Ihre Spitzen hoben sich erschreckend weiß von dem dunklen Hintergrund der Gobelins und der alten Möbel ab. Herr Béraud Du Châtel hatte beide Hände auf den Rand seines Lesepults gelegt und sah zu ihr hinüber. Tante Elisabeth sprach von der bevorstehenden Hochzeit Christines, die den Sohn eines schwerreichen Anwalts heiraten sollte. Das junge Mädchen war gerade in Begleitung einer alten Dienerin des Hauses ausgegangen, um Besorgungen zu machen, und die gute Tante plauderte ganz allein mit ihrer sanften Stimme, strickte dabei ununterbrochen weiter, schwatzte von Haushaltsangelegenheiten und warf über die Brille hinweg lächelnde Blicke auf Renée.
Die junge Frau aber wurde immer unruhiger. Die ganze Stille des Hauses lastete auf ihren Schultern, und sie hätte viel darum gegeben, wenn die Spitzen an ihrem Kleid schwarz gewesen wären. Der Blick ihres Vaters machte sie so verlegen, daß sie es wirklich lächerlich von Worms fand, sich derart breite Volants auszudenken.
»Wie schön du bist, liebes Kind!« sagte plötzlich Tante Elisabeth, die die Spitzen ihrer Nichte noch nicht einmal bemerkt hatte.
Sie hielt die Stricknadeln an und rückte an der Brille, um besser zu sehen. Herr Béraud Du Châtel
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