Die Beute - 2
lächelte matt.
»Es ist etwas reichlich weiß«, meinte er. »Eine Frau dürfte damit auf der Straße in rechte Verlegenheit geraten.«
»Aber man geht doch nicht zu Fuß, Vater!« rief Renée, bereute jedoch sogleich dieses unüberlegte Wort.
Der Greis wollte etwas erwidern, stand dann aber auf, reckte seine hohe Gestalt und ging langsam auf und ab, ohne seine Tochter weiter anzusehen. Diese war ganz blaß vor Erregung. Jedesmal, wenn sie sich Mut zusprach und nach einem Übergang suchte, um ihre Bitte um Geld vorzubringen, fühlte sie einen Stich im Herzen.
»Man bekommt Sie ja gar nicht mehr zu sehen, Vater«, sagte sie halblaut.
»Ach«, erwiderte die Tante, ohne ihren Bruder zu Wort kommen zu lassen, »dein Vater geht höchstens von Zeit zu Zeit in den Jardin des Plantes. Und auch das nur, wenn ich ärgerlich werde. Er behauptet, daß er sich in Paris verirre, daß die Stadt jetzt nicht mehr für ihn tauge … Schilt ihn nur tüchtig!«
»Mein Mann würde sich so sehr freuen, Sie zuweilen bei unsern Donnerstagsempfängen zu sehen!« fuhr die junge Frau fort.
Herr Béraud Du Châtel machte schweigend ein paar Schritte. Dann erklang seine ruhige Stimme: »Sage deinem Mann besten Dank. Er scheint ein sehr rühriger Mensch zu sein, und ich hoffe in deinem Interesse, daß er seine Geschäfte ehrenhaft führt. Aber wir haben nicht die gleichen Ansichten, und ich fühle mich in eurem schönen Haus am Parc Monceau nicht wohl.«
Tante Elisabeth war offenbar unzufrieden mit dieser Antwort.
»Es ist doch arg mit den Männern und ihrer ewigen Politik!« sagte sie heiter. »Um dir die Wahrheit zu sagen, dein Vater ist böse auf euch, weil ihr in die Tuilerien geht.«
Doch der alte Vater zuckte mit den Achseln, als wolle er sagen, daß sein Mißvergnügen eine sehr viel ernstere Ursache habe. Wieder ging er langsam und nachdenklich auf und ab. Renée schwieg einen Augenblick. Die Bitte um die fünfzigtausend Francs lag ihr schon auf der Zunge. Da befiel sie eine noch größere Mutlosigkeit, sie umarmte ihren Vater und ging.
Tante Elisabeth wollte sie bis zur Treppe begleiten. Während sie die vielen Zimmer durchschritten, plauderte sie weiter mit ihrer dünnen Greisinnenstimme: »Du bist glücklich, liebes Kind! Es freut mich, dich so schön und so gesund zu sehen. Weißt du, wenn es mit deiner Heirat schlecht ausgegangen wäre, hätte ich mich schuldig gefühlt … Dein Mann liebt dich, du hast alles, was du brauchst, nicht wahr?«
»Gewiß doch«, antwortete Renée und gab sich Mühe zu lächeln, obwohl ihr das Herz brechen wollte.
Die Hand auf dem Treppengeländer, hielt die Tante sie immer noch zurück.
»Sieh, ich habe nur die eine Sorge, daß all dein Glück dir den Kopf verdrehen könnte. Sei recht vorsichtig, vor allen Dingen verkaufe nichts … Solltest du einmal ein Kind haben, so würde dann ein kleines Vermögen bereit liegen.«
Als Renée wieder in ihrem Wagen saß, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn; sie wischte ihn ab und dachte dabei an die eisige Feuchtigkeit im Palais Béraud. Doch als das Kupee im hellen Sonnenschein über den Quai SaintPaul rollte, fielen ihr wieder die fünfzigtausend Francs ein, und ihr ganzer Kummer erwachte mit vermehrter Heftigkeit. Sie, die man für so mutig hielt, wie feige war sie gewesen! Und dabei handelte es sich um Maxime, um seine Freiheit, um ihr gemeinsames Glück! Plötzlich stieg inmitten ihrer bitteren Selbstvorwürfe ein Gedanke in ihr auf, der ihre Verzweiflung auf die Spitze trieb: im Treppenhaus noch hätte sie mit Tante Elisabeth von den fünfzigtausend Francs reden sollen. Wo war ihr Verstand geblieben? Die gute Seele hätte ihr die Summe vielleicht geliehen oder ihr zum mindesten geholfen. Schon wollte sie sich vorbeugen, um dem Kutscher zu sagen, er solle in die Rue SaintLouisenl’Ile zurückfahren, als sie im Geiste die Gestalt ihres Vaters vor sich sah, wie er langsam im feierlichen Schatten des großen Salons auf und ab ging. Niemals würde sie den Mut aufbringen, gleich wieder in jenen Raum zurückzukehren. Was sollte sie vorbringen, um einen solchen zweiten Besuch zu erklären? Und im tiefsten Herzen hatte sie nicht einmal mehr den Mut, mit Tante Elisabeth über die Sache zu sprechen. Sie befahl ihrem Kutscher, nach der Rue du FaubourgPoissonnière zu fahren.
Frau Sidonie stieß einen Schrei des Entzückens aus, als sie Renée durch die diskret verhangene Tür ihres Ladens eintreten sah.
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