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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wechselnden Stimmungen nur wenig an; er gefiel sich darin, ein gefügiges Werkzeug in den Händen der Frauen zu sein. Mehr verdroß es ihn, wenn ihre verliebte Zweisamkeit zuweilen eine Wendung ins Moralische nahm. Dann wurde Renée ganz traurig, es kam sogar vor, daß ihr dicke Tränen in den Augen standen. Sie unterbrach ihren Refrain über den »holden Jüngling ohnegleichen« aus der »Schönen Helena«, spielte die Kirchenlieder aus ihrer Pensionszeit, fragte ihren Liebhaber, ob er nicht glaube, daß das Böse früher oder später bestraft werde.
    Sie wird entschieden alt, dachte er. Sie wird höchstens noch ein oder zwei Jahre amüsant sein.
    Tatsächlich litt sie furchtbar. Jetzt hätte sie es vorgezogen, Maxime mit Herrn de Saffré zu betrügen. Bei Frau Sidonie hatte sie sich empört, hatte einem angeborenen Stolz nachgegeben, dem Ekel vor diesem plumpen Handel. Aber in den folgenden Tagen, als sie die Gewissensqualen einer Ehebrecherin durchmachte, versank alles in ihr, und sie kam sich so verächtlich vor, daß sie sich dem Erstbesten hingegeben haben würde, der die Tür von Frau Sidonies Klavierlager aufgemacht hätte. Hatte bisher der Gedanke an ihren Mann zuweilen ihre Blutschande mit wollüstigem Grauen gewürzt, so war ihr dabei von nun an der Gatte, der Mann als solcher, mit einer Brutalität gegenwärtig, die ihre zartesten Gefühle in unerträgliche Leiden verwandelte. Sie, die gerade an der Raffiniertheit ihres Fehltritts Vergnügen fand und sich gern einen übermenschlichen Paradieswinkel erträumte, wo die Götter unter sich ihrer Liebe frönen, verfiel der gemeinen Ausschweifung, teilte sich zwischen zwei Männern. Vergeblich versuchte sie, sich dieser Infamie zu freuen. Noch brannten die Küsse Saccards auf ihren Lippen, und schon bot sie ihren Mund den Küssen Maximes dar. Ihre Neugier drang bis in die Tiefe dieser fluchwürdigen Wollust; sie trieb es so weit, daß sie diese doppelte Liebe miteinander vermischte, in den Umarmungen des Vaters den Sohn suchte. Und noch verstörter, noch wunder kehrte sie zurück von dieser Reise, die sie in das unbekannte Böse geführt hatte, in die glühende Finsternis, darin sie mit einem Grauen, das ein Röcheln der Qual in ihre Lust mischte, die beiden Geliebten zu einem einzigen verschmolz. Sie behielt diese Tragödie für sich und steigerte ihr Leiden noch durch ihre überreizte Phantasie. Lieber wäre sie gestorben, als daß sie Maxime die Wahrheit eingestanden hätte. Das kam von der dumpfen Angst, der junge Mann könnte sich auflehnen, sie verlassen; vor allem war sie so unbedingt von der Ungeheuerlichkeit ihrer Schuld und von der ewigen Verdammnis überzeugt, daß sie eher nackt durch den Parc Monceau gelaufen wäre, als selbst mit leiser Stimme ihre Schande zu bekennen. Im übrigen blieb sie das leichtsinnige Geschöpf, das ganz Paris mit seinen Extravaganzen zum Staunen brachte. Eine nervöse Heiterkeit überkam sie, ihre sonderbaren Einfälle beschäftigten die Tageszeitungen, die Renée durch die Anfangsbuchstaben ihres Namens kenntlich machten. So wollte sie sich zu dieser Zeit ernstlich mit der Herzogin de Sternich auf Pistolen duellieren, weil diese ihr absichtlich, wie Renée behauptete, ein Glas Punsch übers Kleid gegossen habe; nur das ärgerliche Eingreifen ihres Schwagers, des Ministers, hinderte sie daran. Ein andermal wettete sie mit Frau de Lauwerens, daß sie in weniger als zehn Minuten die Runde um die Rennbahn von Longchamps machen würde, und lediglich die Toilettenfrage hielt sie von diesem Vorhaben ab. Selbst Maxime begann sich vor diesem Kopf zu fürchten, in dem die Tollheit spukte und in dem er, wenn er nachts neben ihm auf dem Kissen lag, das Tosen einer in brünstigen Vergnügungen schwelgenden Stadt zu hören glaubte.
    Eines Abends besuchten sie zusammen das ThéâtreItalien. Sie hatten nicht einmal den Theaterzettel vorher angesehen, sie wollten nur die große italienische Tragödin, die Ristori122, sehen, die damals ganz Paris auf die Beine brachte und für die man sich der Mode halber interessieren mußte. Man gab »Phädra«123. Maxime hatte seine Literaturstunden noch genügend in Erinnerung, und Renées Kenntnisse des Italienischen reichten aus, um dem Stück folgen zu können. Und selbst dieses Drama in der fremden Sprache, deren Wohlklang ihnen mitunter nur wie eine Orchesterbegleitung zur Unterstützung der schauspielerischen Mimik erschien, erregte sie auf besondere Weise.
    Hippolytos war ein großer, fahler,

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