Die Beute - 2
behauptete, sie müßten sich zuerst bis aufs Hemd ausziehen, damit Frau de Guende wisse, mit welchem der drei sie spreche. In der Vergangenheit der Gräfin Vanska gab es Hinterhöfe, in denen sie gesungen hatte, Straßen, auf denen man sie oft gesehen haben wollte, wie sie, einer Wölfin gleich, in einem Kattunkleidchen umherstrich. Jede dieser Frauen hatte ihren Schandfleck, ihre triumphierend zur Schau getragene Wunde. Alle aber überragte die Herzogin de Sternich: häßlich, alt, verlebt, doch mit dem Ruhm, eine Nacht im kaiserlichen Bett verbracht zu haben; hier war das Laster offiziell geworden, und ihr verblieb davon so etwas wie ein hoheitsvoller Glanz der Ausschweifung und eine Überlegenheit über diese Schar berühmter Dirnen.
Dann gewöhnte sich die Blutschänderin an ihre Schuld wie an ein Festgewand, dessen Starrheit einen anfänglich stört. Sie folgte der Mode der Zeit, kleidete und entkleidete sich nach dem Beispiel der anderen. Schließlich glaubte sie, in einer Welt zu leben, die über die allgemeine Moral erhaben sei, in einer Welt, wo sich die Sinne verfeinerten und entwickelten und wo es erlaubt sei, zur Ergötzung des ganzen Olymps130 nackt einherzugehen. Das Laster wurde zum Luxus, zu einer ins Haar gesteckten Blume, einem auf der Stirn getragenen Diamanten. Und wie eine Rechtfertigung, eine Erlösung sah sie wieder den Kaiser am Arm des Generals zwischen den beiden Reihen sich neigender Schultern dahinschreiten.
Ein einziger Mensch, Baptiste, der Kammerdiener ihres Gatten, beunruhigte Renée immer noch. Seit Saccard seine Verliebtheit zu erkennen gab, schien sich dieser große, blasse und würdige Lakai mit der Feierlichkeit stummer Mißbilligung um sie her zu bewegen. Er sah sie nicht an, seine kühlen Blicke glitten über ihren Chignon hinweg mit der Züchtigkeit eines Kirchendieners, der seine Augen nicht durch den Anblick der Haare einer Sünderin besudeln will. Sie bildete sich ein, er wisse alles, und wenn sie es gewagt hätte, würde sie sich sein Stillschweigen erkauft haben. Dann wieder war ihr unbehaglich zumute, sie empfand eine Art unbestimmter Hochachtung, wenn sie Baptiste begegnete, und sagte sich, daß alles, was es rings um sie an Ehrbarkeit gegeben, sich unter diesen schwarzen Lakaienrock geflüchtet habe und sich dort versteckt halte.
Eines Tages fragte sie Céleste: »Kommt es vor, daß Baptiste in der Bedientenstube Späße macht? Hat er ein Verhältnis, eine Geliebte?«
»Na, der doch nicht!« war alles, was die Kammerzofe darauf antwortete.
»Je nun, er hat dir doch sicher den Hof gemacht?«
»Ach was, der sieht keine Frau an. Wir bekommen ihn kaum zu Gesicht … Entweder ist er beim Herrn oder in den Ställen … Er sagt immer, daß er die Pferde so gern hat.«
Renée ärgerte sich über diese Ehrbarkeit, forschte weiter, suchte nach einem Grund, ihre Leute verachten zu können. Obwohl sie Céleste gern hatte, hätte es sie doch gefreut, zu erfahren, daß das Mädchen Liebhaber habe.
»Aber du, Céleste, findest du nicht, daß Baptiste ein hübscher Kerl ist?«
»Ich, gnädige Frau?« rief die Zofe mit entsetzter Miene wie jemand, der etwas Unglaubliches zu hören bekommt. »Oh, ich habe ganz andere Dinge im Kopf. Ich will keinen Mann. Ich habe meinen Plan, Sie werden schon sehen. Glauben Sie mir, ich bin nicht so dumm.«
Renée konnte nichts Genaueres herausbringen. Zudem wurden ihre Sorgen immer größer. Ihr geräuschvolles Leben, ihre tollen Unternehmungen trafen auf zahlreiche Hindernisse, die überwunden werden mußten, was manchmal nicht ohne Verletzungen abging. So auch, als sich eines Tages Louise de Mareuil zwischen sie und Maxime stellte. Renée war nicht eifersüchtig auf »die Bucklige«, wie sie sie verächtlich zu nennen pflegte; sie wußte, die Ärzte hatten Louise aufgegeben, und sie konnte nicht glauben, daß Maxime jemals ein so häßliches Geschöpf heiraten würde, selbst nicht um den Preis einer Millionenmitgift. Mochte sie auch tief gesunken sein, so hatte sie sich doch eine Art spießbürgerlicher Einfalt in der Beurteilung all derer bewahrt, die sie liebte; wenn sie sich selbst auch verachtete, hielt sie jene doch gern für bedeutend und höchst ehrenwert. Aber obwohl sie die Möglichkeit einer Heirat, die ihr wie eine verhängnisvolle Verirrung und wie ein Raub vorgekommen wäre, weit von sich wies, litt sie unter dem vertraulichen Umgang, der Kameradschaftlichkeit der beiden jungen Leute. Sprach sie mit Maxime über Louise, so
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