Die Beute - 2
lachte er behaglich, berichtete ihre kindlichen Aussprüche und sagte: »Weißt du, Louise, der kleine Schelm, nennt mich ihren kleinen Mann!«
Und er legte eine solche Unbefangenheit an den Tag, daß sie nicht wagte, ihm klarzumachen, daß dieser »kleine Schelm« doch immerhin siebzehn Jahre alt sei und ihr Händespiel und den Eifer, mit dem sie die entlegenen Winkel der Salons aufsuchte, um sich dort über alle Welt lustig zu machen, ihr, Renée, Kummer bereiteten und ihr die schönsten Abende verdarben.
Ein gewisser Vorfall gab der ganzen Situation einen merkwürdigen Anstrich. Renée hatte oft das Bedürfnis, sich aufzuspielen, hatte Launen rücksichtsloser Unbekümmertheit. Dann zog sie Maxime hinter einen Vorhang oder eine Tür und küßte ihn, auf die Gefahr hin, gesehen zu werden. An einem Donnerstagabend, als der dotterblumengelbe Salon voller Menschen war, kam ihr der hübsche Einfall, den jungen Mann zu rufen, als er gerade mit Louise plauderte; sie selber war hinten im Gewächshaus, ging Maxime entgegen und küßte ihn zwischen zwei dichten Büschen, wo sie sich hinlänglich gedeckt wähnte, unversehens auf den Mund. Doch Louise war Maxime nachgegangen. Als die Liebenden aufsahen, gewahrten sie wenige Schritte entfernt das junge Mädchen, das sie mit einem merkwürdigen Lächeln betrachtete, ohne eine Spur von Erröten oder Erstaunen, mit dem ruhigfreundschaftlichen Gesichtsausdruck eines Gefährten im Laster, der erfahren genug ist, um einen solchen Kuß zu verstehen und zu billigen.
Diesmal war Maxime wirklich erschrocken, während Renée gleichgültig, ja fast vergnügt schien. Nun war es vorbei. Es war jetzt unmöglich geworden, daß ihr die Bucklige den Geliebten raubte. Sie dachte: Eigentlich hätte ich das vorsätzlich tun sollen. Jetzt weiß sie, daß »ihr kleiner Mann« mir gehört.
Maxime beruhigte sich, als er Louise genauso heiter, genauso amüsant wiederfand wie stets. Er hielt sie für »ein sehr kluges und sehr gutherziges Mädchen«. Und damit war es für ihn abgetan.
Renées Befürchtungen waren begründet. Seit einiger Zeit dachte Saccard daran, seinen Sohn mit Fräulein de Mareuil zu verheiraten. Hier war eine Millionenmitgift zu holen, die er sich nicht entgehen lassen wollte, denn er rechnete damit, später einmal selber die Hand auf dieses Geld zu legen. Da Louise zu Anfang des Winters drei Wochen lang krank zu Bett gelegen hatte, fürchtete er so sehr, sie könnte vor der geplanten Eheschließung sterben, daß er beschloß, die Kinder sofort zusammenzugehen. Er fand sie zwar ein bißchen jung, aber die Ärzte erachteten den März als gefährlich für die Lungenleidende. Auch Herr de Mareuil war in einer mißlichen Lage. Bei der letzten Wahl hatte er es endlich erreicht, zum Deputierten ernannt zu werden. Der Corps législatif aber hatte die Wahl, die bei der Überprüfung der Wahlakten große Empörung erregte, für ungültig erklärt. Diese ganze Wahlangelegenheit wurde zu einem komischen Heldengedicht, von dem die Zeitungen einen Monat lang lebten. Herr Hupel de la Noue, der Präfekt des Departements, hatte einen derartigen Druck ausgeübt, daß die übrigen Kandidaten weder ihr Programm veröffentlichen noch Wahlzettel verteilen konnten. Auf seinen Rat hin hatte Herr de Mareuil im ganzen Wahlkreis Freitische gespendet, wo die Bauern eine Woche lang nach Herzenslust aßen und tranken. Außerdem versprach er ihnen eine Eisenbahn, eine Brücke und drei Kirchen und beschenkte am Vorabend der Wahl die einflußreichsten Wähler mit Bildnissen des Kaisers und der Kaiserin, zwei großen, in Gold gerahmten Stichen. Diese Geschenke hatten einen fabelhaften Erfolg, die Stimmenmehrheit war erdrückend. Als sich aber die Kammer unter dem schallenden Gelächter ganz Frankreichs gezwungen sah, Herrn de Mareuil zu seinen Wählern heimzuschicken, geriet der Minister in einen fürchterlichen Zorn gegen den Präfekten und den unglückseligen Kandidaten, die wirklich »allzu scharf ins Zeug gegangen« waren. Er sprach sogar davon, einen anderen, von der Regierung gestützten Kandidaten aufzustellen. Herr de Mareuil erschrak zu Tode. Er hatte dreihunderttausend Francs im Departement ausgegeben und würde nun die ausgedehnten Güter, die er dort besaß, auf denen er sich allerdings langweilte, mit Verlust verkaufen müssen. Deshalb flehte er seinen lieben Kollegen an, den Bruder zu beschwichtigen und ihm in seinem Namen für das nächste Mal eine völlig einwandfreie Wahl zuzusichern. Diesen
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