Die Beute - 2
Gewissensqualen war sie Céleste dankbar, daß diese ihre Schande mitangesehen hatte, ohne sich voll Ekel von ihr abzuwenden; nur als Selbstverleugnung, aus einem Leben der Entsagung heraus, vermochte sie sich den Gleichmut ihrer Kammerzofe angesichts des Inzests zu erklären, ihre eiskalten Hände, ihre stille, ehrerbietige Sorgfalt. Sie war um so glücklicher über diese Ergebenheit, als sie wußte, daß Céleste ehrlich und sparsam war, keinen Geliebten und kein Laster hatte.
In Stunden der Niedergeschlagenheit sagte sie manchmal zu ihr: »Du wirst mir einmal die Augen zudrücken, mein Kind!«
Céleste antwortete darauf nicht, lächelte nur eigentümlich. Eines Morgens teilte sie Renée in aller Ruhe mit, sie gehe jetzt und kehre in ihre Heimat zurück. Renée zitterte am ganzen Leibe, als wäre ihr ein großes Unglück widerfahren. Sie erhob Einspruch, bestürmte Céleste mit Fragen. Warum wolle sie sie denn verlassen, wo sie doch so gut miteinander auskämen? Und sie bot ihr an, ihren Lohn zu verdoppeln.
Aber trotz aller guten Worte schüttelte die Zofe nur still und beharrlich den Kopf.
»Sehen Sie, gnädige Frau«, antwortete sie schließlich, »Sie könnten mir alle Schätze der Welt anbieten, ich bliebe doch keine Woche länger. Sie kennen mich ja gar nicht! – Ich bin jetzt acht Jahre bei Ihnen, nicht wahr? Nun wohl, seit dem ersten Tage habe ich mir gesagt: ›Sobald ich fünftausend Francs zusammengespart habe, kehre ich nach Hause zurück, kaufe mir ein Haus in Lagache und werde dort glücklich und zufrieden leben.‹ Das habe ich mir selber gelobt, müssen Sie verstehen. Und seit Sie mir gestern den Lohn ausgezahlt haben, sind die fünftausend Francs voll.«
Renée griff es eiskalt ans Herz. Sie sah Céleste kommen und gehen, während sie selbst und Maxime einander umschlungen hielten, sah sie in ihrer Gleichgültigkeit, ihrer vollkommenen Unbeteiligtheit, immer nur auf ihre fünftausend Francs bedacht. Dennoch versuchte sie, das Mädchen zurückzuhalten, entsetzt bei dem Gedanken an die Leere, in der sie sonst leben würde, trotz allem von dem Wunsch erfüllt, dieses tierisch eigensinnige Wesen, das sie für aufopfernd gehalten hatte und das nur egoistisch war, an sich zu fesseln. Die andere lächelte, schüttelte weiter den Kopf und murmelte: »Nein, nein, es ist unmöglich. Meiner eigenen Mutter würde ich es abschlagen … Ich will mir zwei Kühe kaufen. Vielleicht fange ich auch einen kleinen Kurzwarenhandel an … Es ist wirklich sehr nett bei uns. Ach, was das anlangt, würde ich mich freuen, wenn Sie mich besuchen wollten. Es ist ganz nahe von Caen. Ich lasse Ihnen meine Adresse hier.«
Da drang Renée nicht weiter in sie. Als sie allein war, vergoß sie heiße Tränen. Am nächsten Morgen wollte sie in der Launenhaftigkeit einer Kranken Céleste in ihrem eigenen Kupee zum Westbahnhof begleiten. Sie gab ihr eine ihrer Reisedecken mit, machte ihr noch ein Geldgeschenk und war um sie besorgt wie eine Mutter, deren Tochter sich auf eine lange und beschwerliche Reise begibt. Im Wagen sah sie das Mädchen mit feuchten Augen an. Céleste plauderte, sagte, wie froh sie sei, fortzukommen. Dann wurde sie mutiger, wurde vertraulich und begann, ihrer Herrin gute Ratschläge zu geben.
»Ich, gnädige Frau, ich hätte niemals so leben können wie Sie. Wie oft, wenn ich Sie mit Herrn Maxime zusammen angetroffen habe, habe ich mir gesagt: Wie kann man nur der Männer wegen so dumm sein! Das endet immer schlecht … Nun, ich war stets auf der Hut!«
Sie lachte und ließ sich in die Wagenecke zurückfallen.
»Meine Goldstücke wären mir schön davongetanzt«, fuhr sie fort, »und da würde ich mir jetzt die Augen aus dem Kopf weinen. Darum habe ich einen Besenstiel zur Hand genommen, sobald ich einen Mann sah … Ich habe mich nie getraut, Ihnen all das zu sagen! Übrigens ging es mich auch gar nichts an. Sie waren niemandem Rechenschaft schuldig, und ich hatte mich nur darum zu kümmern, ehrlich mein Geld zu verdienen.«
Auf dem Bahnhof wollte Renée für sie bezahlen und löste ihr eine Fahrkarte erster Klasse. Da sie zu früh gekommen waren, hielt sie Céleste zurück, drückte ihr die Hände und sagte immer wieder: »Und geben Sie recht acht auf sich, pflegen Sie sich, meine gute Céleste!«
Diese ließ alle Liebkosungen über sich ergehen. Trotz der nassen Augen ihrer Herrin blieb sie fröhlich, hatte ein frisches, lächelndes Gesicht. Renée sprach noch von der Vergangenheit. Und plötzlich
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