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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Sie doch gut auf den neuen Boulevard ziehen.«
    »Das stimmt schon«, antwortete abermals der Fabrikant, der sich ganz getröstet zu haben schien.
    Die Untersuchungskommission hielt sich noch in zwei weiteren Häusern auf. Der Arzt blieb unterdessen vor der Tür stehen, rauchte und betrachtete den Himmel. Als sie zur Rue des Amandiers gelangten, wurden die Häuser immer seltener. Sie kamen nur noch über große umzäunte Plätze, über ödes Gelände, wo altes, halb eingestürztes Mauerwerk stand. Saccard schien dieser Spaziergang durch die Ruinen zu erfreuen. Es fiel ihm jenes Abendessen mit seiner ersten Frau auf dem Montmartre ein, und er erinnerte sich deutlich daran, wie er damals mit der Schneide seiner Hand genau den Schnitt gezeigt hatte, der Paris von dem Place du Châteaud’Eau bis zur Barrière du Trône entzweischneiden sollte. Die Verwirklichung dieser weit zurückliegenden Voraussage machte ihm jetzt großes Vergnügen; er verfolgte den Schnitt mit geheimer Schöpferfreude, als hätte er persönlich mit seinen eisernen Fingern den ersten Hackenschlag getan. Und fröhlich sprang er über die Pfützen und dachte daran, daß unter den Schuttmassen, am Ende dieses trägen Schlammflusses drei Millionen seiner warteten.
    Die Herren kamen sich hier vor wie auf dem Lande. Die Straße zog sich mitten durch Gärten hin, deren Einfriedungsmauern sie umgelegt hatte. Hier gab es große Fliederbüsche voller Knospen. Alle Blätter waren von einem köstlichen Hellgrün. Jeder dieser Gärten wirkte wie ein vom Laub seiner Gebüsche dargebotenes lauschiges Plätzchen mit einem kleinen Wasserbecken, einem winzigen Wasserfall, Mauerwinkeln, auf die allerlei Augentäuschendes gemalt war, etwa verkürzte Laubengänge oder Landschaften unter blauen Himmeln. Die Wohnhäuser, verstreut und diskret versteckt, ähnelten italienischen Pavillons, griechischen Tempeln, und Moos zernagte den Sockel der Gipssäulen, indes Unkraut den Kalk von den Giebelfeldern bröckeln machte.
    »Das sind ›petites maisons‹«, sagte der Arzt mit einem Augenzwinkern.
    Als er jedoch merkte, daß ihn die Herren nicht verstanden, erklärte er ihnen, daß sich unter Ludwig XV.151 die Marquis für ihre Liebesabenteuer Schlupfwinkel geschaffen hatten. Das war damals so Mode. Und er fuhr fort: »Man nannte sie ›petites maisons.‹ Dieses Stadtviertel war voll davon. Hier ist allerlei vor sich gegangen, das dürfen Sie mir glauben!«
    Die Schätzungskommission war sehr aufmerksam geworden. Die beiden Industriellen hatten glänzende Augen, sie lächelten und betrachteten diese Gärten und Pavillons, die sie vor den Erklärungen ihres Kollegen keines Blickes gewürdigt hatten, mit lebhaftem Interesse. Eine Grotte fesselte lange ihre Aufmerksamkeit. Als aber der Arzt angesichts eines bereits von der Spitzhacke angeschlagenen Häuschens sagte, es sei das »petite maison« des Grafen Savigny, das durch die Orgien jenes Edelmannes sehr bekannt geworden sei, verließ die gesamte Kommission den Boulevard, um diese Ruine zu besichtigen. Man kletterte über den Schutt und gelangte durch die Fenster in die Erdgeschoßräume, und da die Arbeiter gerade beim Frühstück saßen, konnten sich die Herren nach Belieben ergehen. Sie blieben eine gute halbe Stunde dort, betrachteten die Rosetten an den Zimmerdecken, die Malereien über den Türen, die gekünstelten, vom Alter gelb gewordenen Gipsverzierungen. Der Arzt versuchte, die kleine Wohnung zu rekonstruieren.
    »Sehen Sie«, sagte er, »dieser Raum muß wohl der Festsaal gewesen sein. Dort in der Mauernische stand sicher ein riesiger Diwan. Und ich bin sogar fest überzeugt, daß über dem Diwan ein Spiegel hing; hier sehen Sie noch die Klammern, mit denen er befestigt war … Oh, diese Nichtstuer verstanden sich darauf, das Leben zu genießen!«
    Sie hätten diese alten Mauern, die ihre Neugier anstachelten, noch nicht verlassen, hätte nicht Aristide Saccard, von Ungeduld getrieben, lachend gesagt: »Sie suchen vergebens: die Damen sind nicht mehr hier … Gehen wir also an unsere Arbeit.«
    Doch der Arzt stieg, ehe er fortging, auf einen Kamin, schlug mit einer Hacke behutsam ein gemaltes Amorköpfchen los und steckte es in die Tasche seines Überziehers.
    Endlich erreichten sie das Ziel ihres Weges. Die ehemaligen Grundstücke der Frau Aubertot waren sehr ausgedehnt; das KonzertCafé mit seinem Garten nahm kaum die Hälfte davon ein, das übrige war mit einigen unbedeutenden Häusern bebaut. Der neue Boulevard

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