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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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geliehen hatte. Nachdem er die Reisekosten bezahlt hatte, hielt er einen Monat mit den ihm noch verbliebenen dreihundert Francs durch. Angèle war eine starke Esserin, überdies erachtete sie es jetzt für nötig, ihr Staatskleid durch eine malvenfarbene Bandverzierung aufzufrischen. Dieser Monat des Abwartens kam Aristide endlos vor. Die Ungeduld verzehrte ihn. Wenn er am Fenster stand und unter sich das ungeheure Schaffen von Paris spürte, packte ihn eine rasende Lust, in diesen Schmelzofen hinabzuspringen, um dort mit fiebernden Händen das Gold zu kneten wie weiches Wachs. Er zog den noch unbestimmbaren Hauch ein, der aus der großen Stadt zu ihm aufstieg, den Atem des jungen Kaiserreichs, schon vermischt mit dem Dunst der Alkoven und der Finanzspekulationen, dem Glutwind des Genusses. Die leichte Witterung, die bis zu ihm drang, verriet ihm, daß er auf der richtigen Fährte war, daß das Wild schon vor ihm herlief, daß endlich die große Kaiserjagd, die Jagd auf Abenteuer, auf Frauen, auf Millionen begonnen habe. Seine Nasenflügel zitterten, mit dem Instinkt der ausgehungerten Bestie erfaßte er im Vorübergehen vortrefflich die geringsten Anzeichen der Beuteteilung, deren Schauplatz diese Stadt sein sollte.
    Zweimal besuchte er seinen Bruder, um dessen Maßnahmen zu beschleunigen. Eugène empfing ihn mit kränkender Schroffheit und wiederholte ihm, daß er ihn keineswegs vergessen habe, daß es aber abwarten heiße. Endlich bekam er einen Brief, in dem er aufgefordert wurde, in der Rue de Penthièvre vorzusprechen. Als er hinging, klopfte ihm das Herz zum Zerspringen, wie vor einem Stelldichein. Er traf Eugène wie immer an seinem kleinen schwarzen Tisch an, inmitten des großen eisigen Raumes, der ihm als Büro diente. Sobald der Advokat Aristide erblickte, hielt er ihm ein Schriftstück hin und sagte: »Sieh, gestern habe ich etwas für dich erreicht. Du bist zum Amtsgehilfen des Straßenbauinspektors im Hôtel de Ville ernannt worden. Du bekommst ein Gehalt von zweitausendvierhundert Francs.«
    Aristide war regungslos stehengeblieben. Er wurde blaß und nahm Eugène das Blatt nicht ab, denn er glaubte, sein Bruder mache sich über ihn lustig. Er hatte auf eine Stellung mit mindestens sechstausend Francs gehofft. Eugène, der ahnte, was in Aristide vorging, drehte sich mitsamt seinem Stuhl um, kreuzte die Arme und fragte einigermaßen erregt: »Bist du ein Narr? Du machst dir wohl Illusionen wie ein junges Mädchen? Du möchtest eine schöne Wohnung haben, Dienstboten, gut essen und trinken, in seidenen Betten schlafen, dir unverzüglich in den Armen der Erstbesten in einem binnen zwei Stunden eingerichteten Boudoir Befriedigung verschaffen … Wenn wir dich und deinesgleichen gewähren ließen, so würdet ihr die Kassen leeren, ehe sie noch gefüllt sind. Mein Gott, hab doch etwas Geduld! Sieh doch, wie ich lebe, und nimm dir wenigstens die Mühe, dich zu bücken, um ein Vermögen aufzulesen.«
    Er sprach voll tiefer Verachtung für die schülerhafte Ungeduld seines Bruders. In seinen harten Worten spürte man einen höheren Ehrgeiz, Hunger nach Macht um ihrer selbst willen; diese kindische Geldgier mußte ihm spießbürgerlich und unreif vorkommen. In milderem Ton, mit einem klugen Lächeln fuhr er fort: »Du hast recht gute Anlagen, und ich werde mich hüten, sie in ihrer Entfaltung zu hemmen. Männer wie du sind wertvoll. Wir glauben gut daran zu tun, unsere guten Freunde unter denen zu suchen, die den größten Appetit haben. Sei unbesorgt, wir werden offene Tafel halten, und auch der größte Hunger wird gestillt werden. Das ist doch die bequemste Art zu herrschen … Aber warte um des Himmels willen bis der Tisch gedeckt ist, und wenn ich dir raten darf, mach dir die Mühe, dir dein Besteck selber herbeizuholen.«
    Aristide blieb düster. Die liebenswürdigen Vergleiche seines Bruders vermochten ihn nicht aufzuheitern. Dieser ließ sich von neuem vom Zorn übermannen.
    »Wahrhaftig«, rief er, »ich komme auf meine erste Ansicht zurück: Du bist ein Dummkopf! Nun? Was hofftest du denn, was glaubtest du denn, was ich aus deiner erlauchten Person machen könnte? Du bist nicht einmal Manns genug gewesen, dein juristisches Studium abzuschließen; du hast dich zehn Jahre lang in einer elenden Stellung als Schreiber bei der Unterpräfektur vergraben, du kommst mir hier an als höchst übelbeleumdeter Republikaner, den erst der Staatsstreich zu bekehren vermochte … Glaubst du etwa, daß du mit solchen

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