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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Prädikaten das Zeug zu einem Minister besitzest? Ich weiß wohl, du kannst für dich deinen wilden Ehrgeiz buchen, mit allen nur möglichen Mitteln emporzukommen. Das ist eine große Tugend, ich gebe es zu, und gerade sie hat mich bewogen, dich in die Stadtverwaltung zu bringen.«
    Und indem er aufstand und Aristide das Ernennungsschreiben in die Hand drückte, fuhr er fort: »Da nimm, du wirst mir eines Tages dankbar sein. Ich selbst habe dir diese Stellung ausgesucht, ich weiß, was du daraus machen kannst. Du brauchst lediglich Augen und Ohren offenzuhalten. Wenn du klug bist, wirst du verstehen und handeln … Und nun paß auf, was ich dir noch zu sagen habe. Es kommt jetzt eine Zeit, in der man es zu einem Vermögen bringen kann. Verdiene Geld, soviel du willst, ich habe nichts dagegen; aber nur keine Dummheiten, keinen lauten Skandal – oder ich jage dich davon.«
    Diese Drohung tat die Wirkung, die Eugènes Versprechungen nicht hervorzurufen vermocht hatten. Beim Gedanken an den Reichtum, von dem sein Bruder gesprochen, flammte Aristides fieberhafte Erregung wieder auf. Es war ihm, als ließe man ihn endlich in das Kampfgewühl hinaus, mit der Erlaubnis, die Leute umzubringen, aber gesetzmäßig, ohne daß sie allzu laut dabei schrien. Eugène gab ihm zweihundert Francs für den Rest des Monats.
    Dann blieb er eine Weile nachdenklich.
    »Ich beabsichtige, meinen Namen zu ändern«, sagte er schließlich, »du solltest das auch tun … Wir würden einander weniger behindern.«
    »Wie du willst«, entgegnete Aristide ruhig.
    »Du brauchst dich um nichts zu kümmern, ich werde die nötigen Schritte unternehmen … Willst du dich Sicardot nennen, nach deiner Frau?«
    Aristide sah zur Decke hinauf, wiederholte die einzelnen Silben und prüfte ihren Klang: »Sicardot … Aristide Sicardot … lieber nicht! Das klingt läppisch und riecht nach Bankrott.«
    »So suche etwas anderes«, sagte Eugène.
    »Lieber wäre mir ›Sicard‹, ganz kurz«, meinte der andere nach einer Pause; »Aristide Sicard … gar nicht so schlecht … findest du nicht? Möglicherweise etwas zu leicht …«
    Er dachte noch einen Augenblick nach und rief dann triumphierend: »Ich hab’s, ich hab’s gefunden … Saccard, Aristide Saccard … mit zwei c … Nicht wahr, es klingt irgendwie nach Geld in diesem Namen – als ob man Hundertsousstücke zählte.«
    Eugène hatte eine mörderische Art zu scherzen. Er verabschiedete seinen Bruder, indem er lächelnd zu ihm sagte: »Ja, mit einem solchen Namen kann man ins Zuchthaus kommen oder Millionen verdienen.«
    Wenige Tage später war Aristide Saccard im Hôtel de Ville. Er begriff jetzt, daß sein Bruder großes Vertrauen genießen mußte, um ihn unter Umgehung der üblichen Prüfungen auf diesen Posten gebracht zu haben.
    Nun begann für die Familie das eintönige Leben des kleinen Beamten. Aristide und seine Frau nahmen ihre Plassanser Gewohnheiten wieder auf. Nur waren sie aus ihrem Traum von raschem Reichwerden herausgerissen worden, und ihr armseliges Leben lastete noch drückender auf ihnen, seit sie es als eine Probezeit ansahen, deren Länge sie nicht selbst bestimmen konnten. In Paris arm sein, heißt doppelt arm sein. Angèle nahm dieses Elend mit der Willenlosigkeit einer Bleichsüchtigen hin: sie verbrachte ihre Tage in der Küche, oder sie kauerte auf dem Fußboden, wo sie mit ihrem Töchterchen spielte, und klagte erst, wenn sie beim letzten Zwanzigsousstück angelangt war. Aristide hingegen kochte vor Wut in dieser Armut, diesem engen Dasein, in dem er sich wie ein gefangenes Tier bewegte. Für ihn war es eine Zeit unsäglichen Leidens: sein Stolz blutete, seine ungestillten Begierden peitschten ihn furchtbar. Seinem Bruder gelang es, als Vertreter des Arrondissements41 Plassans in den Corps législatif42 berufen zu werden, und Aristide litt desto mehr. Zwar empfand er Eugènes Überlegenheit zu deutlich, um auf törichte Weise eifersüchtig zu sein, doch beschuldigte er ihn, nicht sein möglichstes für den Bruder getan zu haben. Mehrmals zwang ihn die Not, an Eugènes Tür zu klopfen, um sich etwas Geld zu borgen. Dieser lieh es ihm, warf ihm dabei aber mit harten Worten Mangel an Mut und Willenskraft vor. Von nun an wurde Aristide noch halsstarriger. Er schwor sich, niemanden mehr auch nur um einen Sou43 zu bitten, und er hielt Wort. Die letzten acht Tage des Monats aß Angèle seufzend trockenes Brot. Diese Lehrzeit vollendete die furchtbare Erziehung Saccards. Seine Lippen

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