Die Beute - 2
wurden noch schmaler; er war nicht mehr so unklug, laut von seinen Millionen zu träumen; dieser dürftige Mensch verstummte, es lebte nur noch ein einziger Wille in ihm, eine einzige, zu jeder Stunde gehätschelte fixe Idee. Wenn er von der Rue SaintJacques zum Hôtel de Ville eilte, klangen seine schiefgetretenen Absätze hart auf den Bürgersteigen, und er verkroch sich in seinem fadenscheinigen Mantel wie in einem Asyl des Hasses, während seine Mardernase die Straßenluft einsog. Als eine eckige Gestalt neiderfüllten Elends sah man ihn über das Pariser Pflaster hinstreichen und seinen Plan, ein Vermögen zu erwerben, seinen Traum von Sättigung mit sich herumtragen.
Zu Beginn des Jahres 1853 wurde Aristide Saccard zum Straßenbauinspektor ernannt. Er verdiente jetzt viertausendfünfhundert Francs. Diese Aufbesserung kam zur rechten Zeit; Angèle wurde immer schwächer; die kleine Clotilde war ganz blaß. Er behielt indes die enge Zweizimmerwohnung mit der Eßzimmereinrichtung aus Nußbaum, der Schlafzimmereinrichtung aus Mahagoni, führte weiterhin sein karges Leben und vermied es, Schulden zu machen, denn er wollte erst dann die Hände in anderer Leute Taschen stecken, wenn er bis zu den Ellbogen darin wühlen konnte. So unterdrückte er seine Natur und lag trotz der paar Sous, die er jetzt mehr bekam, weiter auf der Lauer. Angèle war vollkommen glücklich, sie kaufte sich ein bißchen Putz und steckte alle Tage ihre Brosche an. Von nun ab war ihr der stumme Zorn ihres Gatten, diese finstere Miene eines Mannes, der sich um die Lösung eines schrecklichen Problems müht, vollkommen unverständlich.
Aristide befolgte Eugènes Ratschläge, er hielt Augen und Ohren offen. Als er zu seinem Bruder kam, um ihm für die Beförderung zu danken, erkannte dieser die Umstellung, die sich in Aristide vollzogen hatte, und beglückwünschte ihn zu seiner »guten Haltung«, wie er sich ausdrückte. Der vormals innerlich vor Neid erstarrte Beamte war jetzt beweglich und gewinnend geworden. In wenigen Monaten entwickelte er sich zu einem vollendeten Schauspieler. Sein ganzer südlicher Schwung war erwacht, und er brachte es in seiner Kunst so weit, daß ihn seine Kollegen im Hôtel de Ville für einen guten Kerl hielten, dem die nahe Verwandtschaft mit einem Abgeordneten von vornherein eine einträgliche Stellung sicherte. Dieser Verwandtschaft verdankte er auch das Wohlwollen seiner Vorgesetzten. So genoß er eine Art Autorität, die weit über seine Stellung hinausging, ihm gestattete, gewisse Türen zu öffnen und die Nase in gewisse Akten zu stecken, ohne daß ihm seine Indiskretionen übel ausgelegt werden konnten. Zwei Jahre lang sah man ihn durch alle Gänge schleichen, in allen Sälen herumstehen, zwanzigmal am Tage von seinem Arbeitsplatz aufstehen, um mit einem Kollegen zu plaudern, eine Anweisung zu überbringen, durch die Büros zu streifen; kurz, er war ewig unterwegs, was seine Kollegen zu der Bemerkung veranlaßte: »Dieser verteufelte Provenzale44 kann nicht stillsitzen, er hat Quecksilber in den Beinen.« Seine guten Bekannten hielten ihn für einen Faulpelz, und der Schlauberger lachte, wenn sie ihn beschuldigten, er versuche nur, der Verwaltung einige Minuten zu stehlen. Niemals beging er den Fehler, an den Schlüssellöchern zu horchen, aber er hatte eine unverfrorene Art, die Türen aufzumachen und, ein Aktenstück in der Hand, mit geistesabwesender Miene und mit so langsamen und regelmäßigen Schritten durch die Räume zu gehen, daß ihm kein einziges Wort der Unterhaltung entging. Das war eine geniale Taktik. So kam es dahin, daß man ruhig weitersprach, wenn dieser eifrige Beamte vorbeiging, der im Schatten der Büros verschwand und so ausschließlich mit seinen Obliegenheiten beschäftigt zu sein schien. Aristide hatte noch eine andere Methode: er war von außerordentlicher Verbindlichkeit, er bot seinen Kollegen, sobald sie mit ihrer Arbeit in Rückstand gerieten, seine Hilfe an, und dann studierte er die Register und Urkunden, die ihm bald zu Gesicht kamen, mit ausgesuchter Liebe. Eine seiner kleinen Sünden aber war, mit den Bürodienern Freundschaft zu schließen. Er ging dabei so weit, ihnen die Hand zu schütteln. Stundenlang schwatzte er zwischen zwei Türen mit ihnen, mit kleinen, halberstickten Lachsalven erzählte er ihnen Geschichtchen und lockte so allerlei vertrauliche Mitteilungen aus ihnen heraus. Diese braven Leute gingen für ihn durchs Feuer. »Das ist einmal einer, der nicht
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