Die Beute - 2
können es nicht für mehr als zweihundert Francs pro Meter von Ihnen zurückkaufen.« Und die scharfe Stimme Saccards protestierte: »Mir aber haben Sie den Quadratmeter seinerzeit mit zweihundertfünfzig berechnet.«
»Nun denn: sagen wir also zweihundertfünfundzwanzig Francs.«
Und die Stimmen tönten weiter, roh und befremdend unter den herabhängenden Wedeln der Palmen. Aber sie glitten wie ein nebensächliches Geräusch durch den Traum Renées, vor der sich mit der Verlockung eines schwindelerregenden Abgrundes eine unbekannte Wollust auf tat, durchglüht vom Verbrechen, schneidender als alle, die sie bereits ausgekostet hatte, die letzte, die ihr noch verblieb. Jetzt war sie nicht mehr müde.
Der Strauch, der sie halb verdeckte, war eine »verfluchte« Pflanze, eine Tanghinia aus Madagaskar, mit breiten, buchsartigen Blättern und weißlichen Stengeln, deren kleinstes Äderchen einen giftigen Milchsaft absondert. Und in einem Augenblick, da Louise und Maxime lauter auflachten in dem goldenen Widerschein, dem Sonnenuntergangslicht des kleinen Salons, nahm Renée, halb von Sinnen, einen Zweig der Tanghinia, der in der Höhe ihres Mundes hing, zwischen die trockenen, zuckenden Lippen und biß in eines der bitteren Blätter.
Kapitel II
Mit dem Instinkt des Raubvogels, der schon von weitem das Schlachtfeld wittert, stürzte sich Aristide Rougon am Tage nach, dem Staatsstreich vom 2. Dezember auf Paris. Er kam aus Plassans, dem Sitz einer Unterpräfektur in Südfrankreich, wo es seinem Vater endlich gelungen war, aus dem trüben Strudel der Ereignisse die langersehnte Stelle eines Steuereinnehmers herauszufischen. Er selber, noch jung an Jahren, mußte sich glücklich schätzen, mit heiler Haut dem Wirrwarr entkommen zu sein, nachdem er sich wie ein Dummkopf ohne Ruhm noch Gewinn kompromittiert hatte. Eilig machte er sich auf; rasend vor Ärger darüber, daß er einen falschen Kurs gesteuert hatte, verwünschte er die Provinz, sprach von Paris mit der Gier eines hungrigen Wolfes und schwor, daß er »nie wieder so dumm sein« werde; und das spitze Lächeln, mit dem er seine Worte begleitete, bekam auf seinen schmalen Lippen einen furchtbaren Sinn.
In den ersten Tagen des Jahres 1852 kam er an. Er brachte seine Gattin Angèle mit, eine blonde, unscheinbare Person, die er in einer engen Wohnung in der Rue SaintJacques unterbrachte wie ein lästiges Möbelstück, dessen er sich so bald wie möglich zu entledigen gedachte. Die junge Frau hatte sich nicht von ihrer Tochter, der kleinen Clotilde, trennen wollen, einem vierjährigen Kind, das der Vater gern seiner Familie aufgebürdet hätte. Aber er hatte sich dem Wunsch Angèles nur unter der Bedingung gefügt, daß ihr Sohn Maxime, ein Schlingel von elf Jahren, den zu überwachen die Großmutter versprochen hatte, auf dem Gymnasium von Plassans blieb. Aristide wollte freie Hand haben; eine Frau und ein Kind dünkten ihn schon eine erdrückende Last für einen Mann, der entschlossen war, über alle Gräben zu setzen, auch auf die Gefahr hin, sich die Rippen zu brechen oder in den Schlamm zu fallen.
Noch am Abend seiner Ankunft, während Angèle die Koffer auspackte, empfand er ein dringendes Verlangen, durch Paris zu streifen und das heiße Pflaster, aus dem er Millionen hervorsprudeln lassen wollte, unter seine groben Provinzstiefel zu nehmen. Er ergriff förmlich Besitz von der Stadt. Er ging, nur um zu gehen, die Fußsteige entlang, wie in einem eroberten Land. Deutlich sah er die Schlacht vor sich, die er hier liefern wollte, und es widerstrebte ihm nicht, sich mit einem geschickten Einbrecher zu vergleichen, der sich mit List oder Gewalt seinen Teil vom allgemeinen Reichtum sichern will, den Anteil, den man ihm bisher böswillig vorenthalten hat. Wenn er das Bedürfnis empfunden hätte, sich dafür zu entschuldigen, so würde er sich auf jene zehn Jahre unterdrückten Ehrgeizes berufen haben, auf sein kümmerliches Leben in der Provinz, vor allem auf seine Mißgriffe, für die er die gesamte menschliche Gesellschaft verantwortlich machte. Aber jetzt, in dem Erregungszustand eines Spielers, der endlich mit zitternden Händen vor dem grünen Tisch steht, war er voll Freude, einer persönlichen Freude, in die sich die tiefe Befriedigung des Neiders und die Hoffnungen des unbestraften Schurken mischten. Die Pariser Luft berauschte ihn, im Rollen der Räder vermeinte er die Stimmen Macbeth’ zu hören, die ihm zuriefen: Du wirst reich werden!40 So wanderte er
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