Die Beute - 2
stolz ist!« hieß es. Gab es irgendwo einen Skandal, so war Aristide der erste, der davon erfuhr. Nach zwei Jahren barg daher das Hôtel de Ville kein Geheimnis mehr für ihn. Er kannte das gesamte Personal bis zum letzten Lampenwärter und jeden Wisch bis zu den Rechnungen der Waschfrauen.
Zu dieser Zeit bot Paris für einen Menschen wie Aristide Saccard ein höchst interessantes Schauspiel. Nach jener berühmten Reise, auf der es dem Prinz Präsidenten gelungen war, die Begeisterung einiger bonapartistischer Departements45 zu schüren, war soeben das Kaiserreich ausgerufen worden. Auf der Galerie und in der Presse herrschte Ruhe. Jetzt, da eine starke Regierung es der wieder einmal geretteten Gesellschaft sogar abnahm, zu denken, und ihre Angelegenheiten ordnete, pries diese sich glücklich, ruhte aus, schlief in den Tag hinein. Die größte Sorge der Gesellschaft war, herauszufinden, mit welchen Vergnügungen sie die Zeit totschlagen sollte. Wie Eugène Rougon es so treffend ausgedrückt hatte, setzte sich Paris zu Tisch und trieb beim Dessert seine frivolen Späße. Vor der Politik schreckten diese Leute zurück wie vor einer gefährlichen Droge. Die ermüdeten Geister wandten sich den Geschäften und den Vergnügungen zu. Wer etwas besaß, holte sein Geld hervor, und wer nichts besaß, suchte in den Winkeln nach vergessenen Schätzen. In der Tiefe des allgemeinen Gewühls regte sich ein dumpfes Brausen, ein erstes Klirren von Hundertsousstücken, helles Frauenlachen, der noch gedämpfte Klang von Tafelgeschirr und Küssen. Und in der großen Stille des geordneten Zustandes, im trägen Frieden der neuen Regierung ließen sich allerlei liebenswürdige Botschaften vernehmen, goldene, wollüstige Verheißungen. Es war, als ginge man an einem jener kleinen Häuser vorüber, durch deren sorgfältig vorgezogene Gardinen man nur den Schatten von Frauengestalten sieht und wo man die Goldstücke klingend auf den Marmor der Kamine fallen hört. Das Kaiserreich war im Begriff, aus Paris das Freudenhaus von Europa zu machen. Diese Handvoll Abenteurer, die soeben einen Thron gestohlen hatten, brauchten auch eine abenteuerliche Regierung, anrüchige Geschäfte, feile Gewissen, käufliche Frauen, einen tollen, allgemeinen Rausch. Und in dieser Stadt, wo das Dezemberblut noch kaum weggewaschen war, entfaltete sich, zunächst noch zaghaft, jene wahnsinnige Genußsucht, die das Vaterland in die Irrenzelle der verkommenen und entehrten Nationen treiben sollte.
Schon vom ersten Tage an spürte Aristide Saccard die steigende Flut der Spekulation herannahen, deren Schaum bald ganz Paris überziehen sollte. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte er ihr Wachsen. Er befand sich mitten in dem dichten, warmen Goldregen, der auf die Dächer der Stadt herabfiel. Auf seinen fortgesetzten Streifzügen durch das Hôtel de Ville hatte er mit List das riesige Umbauprojekt für Paris in die Hände bekommen, den Plan für den Abbruch, für die neuen Straßenzüge und neuzuschaffenden Wohnviertel, den Voranschlag für den ungeheuren Gewinn beim Verkauf der Grundstücke und Häuser, der an allen Ecken der Stadt den Kampf der Interessen, und den Glanz eines unerhörten Luxus aufflammen ließ. Von nun an hatte seine Tätigkeit ein Ziel. Dies war die Zeit, die den »guten Kerl« aus ihm machte. Er setzte sogar ein bißchen Fett an, er hörte auf, wie eine verhungerte Katze, die auf Beute ausgeht, durch die Straßen von Paris zu laufen. In seinem Büro war er gesprächiger und verbindlicher denn je. Sein Bruder, dem er gewissermaßen offizielle Besuche abstattete, beglückwünschte ihn zu der geschickten Art, in der er seine, Eugènes, Ratschläge in die Praxis umsetzte. Zu Beginn des Jahres 1854 vertraute ihm Saccard an, daß er mehrere Geschäfte in Aussicht habe, für die er aber ein ziemlich großes Darlehen brauche.
»Man muß sich eben umtun«, sagte Eugène.
»Du hast recht, ich werde mich umtun«, antwortete Aristide ohne die geringste schlechte Laune; anscheinend merkte er gar nicht, daß sein Bruder ihm das Anfangskapital verweigerte.
Was ihn jetzt quälte, war die Sorge um dieses Anfangskapital. Sein Plan war fertig und nahm von Tag zu Tag festere Gestalt an. Aber die ersten paar Tausend Francs ließen sich noch immer nicht auftreiben. Er spannte seine Willenskraft noch mehr an; er betrachtete seine Mitmenschen nur noch mit nervösen, durchdringenden Blicken, als suche er im erstbesten Vorübergehenden den Geldgeber. Zu Hause führte
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