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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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der den Leib des Herrn empfängt, die duftende Wärme seiner Nachbarinnen einsog.
    »Dieser Kleine schmuggelt sich überall ein«, sagte die Baronin Meinhold und tätschelte ihm dabei die Wangen.
    Er war so schmächtig, daß die Damen ihn für höchstens vierzehnjährig hielten. Es machte ihnen Spaß, ihn mit dem Madeira des berühmten Worms zu beschwipsen. Er sagte ihnen verblüffende Dinge, über die sie bis zu Tränen lachten. Immerhin nannte die Marquise d’Espanet die Sache beim richtigen Namen. »Dieser Junge hätte als Mädchen auf die Welt kommen sollen«, murmelte sie, als man Maxime eines Tages in einer Diwanecke hinter ihrem Rücken entdeckte und sie ihn so rosig, so errötend sah, so durchdrungen von dem Wohlbehagen, das er in ihrer körperlichen Nähe empfunden hatte.
    Wenn dann endlich der große Worms Renée empfing, schlüpfte Maxime mit ihr in das kleine Nebenzimmer. Er hatte sich zwei oder dreimal zu sprechen erlaubt, während sich der Meister so in den Anblick seiner Kundin versenkte, wie nach Ansicht der Hohenpriester des Schönen es Leonardo81 bei seiner Gioconda82 tat. Worms hatte geruht, über die Richtigkeit von Maximes Bemerkungen zu lächeln. Er ließ Renée vor einen Spiegel treten, der vom Parkettboden bis zur Decke reichte, und sammelte sich mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen, indes die junge Frau ergriffen den Atem anhielt, um sich nicht zu bewegen. Und nach einigen Minuten schilderte der Meister, wie von einer Eingebung gepackt und geschüttelt, in großen, oft abgebrochenen Zügen das Meisterwerk, das er soeben ersonnen hatte, stieß in dürren Sätzen hervor: »Robe Montespan83 aus aschgrauer Faille … Schleppe beherrschend, vorn ein abgerundeter Schoß … an den Hüften mit großen grauen Atlasschleifen gerafft … und dann Vorderbahn aus gerüschtem perlgrauem Tüll, die einzelnen Bäusche durch graue Atlasstreifen voneinander getrennt.«
    Er sammelte sich nochmals, schien bis in die Tiefen seines Schöpfertums hinabzusteigen und vollendete dann mit dem triumphierenden Ausdruck einer Pythia auf ihrem Dreifuß84: »In die Locken dieses Schelmenköpfchens werden wir den traumbefangenen Falter Psyches85 mit seinen blauschillernden Flügeln setzen.«
    Bei anderen Gelegenheiten aber zeigte sich die Inspiration widerspenstig. Worms flehte sie vergebens an, vergeudete nutzlos seine Kräfte. Er malträtierte seine Augenbrauen, wurde blaß, preßte die Hände an seinen armen Kopf, schüttelte ihn voller Verzweiflung und sank dann geschlagen in einen Sessel.
    »Nein«, murmelte er klagend, »nein, heute nicht … es ist unmöglich … Die Damen verlangen zuviel. Die Quelle ist versiegt.«
    Dann schob er Renée zur Tür hinaus, wobei er wiederholte: »Unmöglich, unmöglich, meine Verehrte, kommen Sie an einem anderen Tag … Heute morgen habe ich Sie nicht im Gefühl.«
    Die gute Erziehung, die Maxime erhielt, sollte bald ihr erstes Ergebnis zeitigen. Mit siebzehn Jahren verführte der Schlingel die Zofe seiner Stiefmutter. Das Schlimmste an der Geschichte war, daß das Mädchen schwanger wurde. Man mußte sie mit dem Wurm aufs Land schicken und ihr eine kleine Rente aussetzen. Renée war furchtbar ärgerlich über dieses Vorkommnis. Saccard befaßte sich lediglich mit der geldlichen Seite der Angelegenheit; die junge Frau aber sagte ihrem Zögling gründlich Bescheid. Er, den sie zu einem vornehmen Herrn machen wollte, stellte sich mit einer solchen Person bloß! Welch ein lächerlicher und beschämender Anfang, welch schandbarer Streich! Wenn er sich wenigstens mit einer jener Damen eingelassen hätte!
    »Mein Gott«, antwortete Maxime seelenruhig, »wenn deine gute Freundin Suzanne gewollt hätte, wäre eben sie aufs Land gewandert.«
    »Oh, der Schelm!« murmelte sie entwaffnet und erheitert von der Vorstellung, daß sich Suzanne mit einer Rente von zwölfhundert Francs hätte aufs Land flüchten müssen.
    Dann kam ihr noch ein komischerer Gedanke, und sie vergaß ihre Rolle als erzürnte Mutter, brach in ein perlendes Lachen aus, das sie durch die vorgehaltene Hand zu bändigen versuchte, warf Maxime einen Seitenblick zu und stammelte: »Was meinst du, wie übel Adeline dir das genommen und was für Szenen sie Suzanne gemacht hätte.«
    Sie kam nicht zu Ende. Maxime lachte gleichfalls. Auf diese Weise erlitt Renées Moral bei diesem Liebesabenteuer gründlich Fiasko.
    Aristide Saccard aber kümmerte sich nicht im geringsten um »die beiden Kinder«, wie er seinen Sohn und seine

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