Die Beute - 2
zweite Frau zu nennen pflegte. Er ließ ihnen völlige Freiheit, war froh, daß sie gute Freunde waren und das Haus mit lärmender Fröhlichkeit erfüllten. Ein merkwürdiges Heim, dieses erste Stockwerk in der Rue de Rivoli. Den ganzen Tag über wurde mit den Türen geschlagen; die Dienerschaft sprach laut; durch die neue, schreiende Pracht der Räume bewegten sich ununterbrochen ungeheure, flatternde Frauenröcke, lange Züge von Lieferanten, das wirre Durcheinander der Freundinnen Renées, der Kameraden Maximes und der Besucher Saccards. Dieser empfing täglich von neun bis elf das sonderbarste Gemisch von Leuten, das man sich vorstellen kann: Senatoren und Gerichtsdiener, Herzoginnen und Modewarenhändler, den ganzen Schaum, den die Pariser Stürme morgens vor seine Tür fegten. Seidenroben, beschmutzte Röcke, Arbeiterblusen, Herren im Frack, die er alle im gleichen eiligen Ton, mit den gleichen ungeduldigen, nervösen Bewegungen abfertigte; er erledigte wichtige Geschäfte in zwei Worten, löste zwanzig Schwierigkeiten zu gleicher Zeit, fand im Handumdrehen einen Ausweg. Man hätte glauben können, dieser kleine, bewegliche Mann mit der äußerst energischen Stimme prügele sich in seinem Arbeitszimmer mit seinen Besuchern und mit den Möbeln herum, schlage Purzelbäume, stoße mit dem Kopf an die Zimmerdecke, damit die Einfälle herausspritzen, und falle dabei immer wieder siegreich auf die Füße. Um elf Uhr ging er dann fort, man sah ihn den ganzen Tag über nicht mehr; er aß mittags außer Hause, oft auch abends. Derweil gehörte die ganze Wohnung Renée und Maxime; sie bemächtigten sich des Arbeitszimmers des Vaters, packten dort die Sendungen der Lieferanten aus, und allerlei Kleidungsstücke trieben sich auf den Aktenbündeln herum. Mitunter mußten ernsthafte Leute eine Stunde lang vor der Tür des Arbeitszimmers warten, während der Gymnasiast und die junge Frau, jedes auf einer Ecke von Saccards Schreibtisch sitzend, über eine Bandschleife berieten. Renée ließ zehnmal am Tag anspannen. Selten speiste man gemeinsam; zwei von den dreien waren immer unterwegs, vergaßen die Zeit und kamen erst gegen Mitternacht nach Hause. Es war ein Heim voll von Getöse, Geschäften und Vergnügungen, in dem sich wie ein Windstoß das neue Leben mit seinem Lärm von klirrendem Gold und knitternden Seidenkleidern verfing.
Aristide Saccard war endlich in seinem Element. Er hatte sich als großer Spekulant, als mit Millionen um sich werfender Geschäftsmann entpuppt. Nach dem Meisterstreich in der Rue de la Pépinière stürzte er sich mutig in die Schlacht, die Paris mit schmählichen Trümmern und strahlenden Erfolgen zu überschütten begann. Zunächst trieb er ein sicheres Spiel, indem er wie zuvor Häuser erwarb, die er von der Spitzhacke bedroht wußte, und sich seiner Freunde bediente, um riesige Entschädigungssummen zu erzielen. Es kam ein Zeitpunkt, da er fünf oder sechs Häuser besaß, jene Häuser, die er einst, als er noch ein armer Gehilfe des Straßenbauinspektors war, mit so merkwürdigen Blicken, wie alte Bekannte betrachtet hatte. Doch das waren erst die Anfänge seiner Kunst. Um die Mietsverträge auszunutzen, mit den Wohnungsinhabern gemeinsame Sache zu machen, Staat und Privatleute zu bestehlen, hatte es keiner großen Kunst bedurft, und er fand, daß das Spiel den Aufwand nicht lohne. So stellte er seinen genialen Kopf bald in den Dienst schwierigerer Aufgaben.
Zunächst verfiel Saccard auf den Trick, Häuserkäufe vorzunehmen, die angeblich auf Rechnung der Stadt geschahen. Die Stadtverwaltung war durch einen Entscheid des Staatsrates in eine schwierige Lage gekommen. Sie hatte ohne Vermittlung eine beträchtliche Anzahl von Häusern erworben, in der Hoffnung, die Mieten einstreichen und die Mieter ohne Entschädigung hinaussetzen zu können. Diese Erwerbungen wurden jedoch als regelrechte Enteignungen angesehen, und die Stadt mußte zahlen. Nun bot sich Saccard der Stadt als Strohmann an; er kaufte, nutzte die Mietkontrakte zu seinen Gunsten und lieferte dann das betreffende Haus gegen ein vereinbartes Draufgeld zum festgesetzten Termin ab. Und schließlich spielte er ein doppeltes Spiel: er kaufte gleichzeitig für die Stadt und für den Präfekten. War das Geschäft gar zu verlockend, so brachte er das Haus heimlich an sich. Der Staat zahlte. Man belohnte seine Gefälligkeiten durch Überlassung ganzer Straßenabschnitte, geplanter Kreuzungen, die er wieder abtrat, ehe noch der neue
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