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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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an Provinzschönheit gewöhnt gewesen, so hätte sie trotz Maximes geschmacklosem Aufzug bemerkt, daß der kleine Kahlkopf, wie sie ihn nannte, auf eine anmutige Weise lächelte, den Hals wandte, die Arme bewegte, in so weiblicher Art wie ein Schulmädchen. Er pflegte ausgiebig seine Hände, die lang und schmal waren; blieb es auf Anordnung des Direktors, eines alten Obersten des Ingenieurkorps, auch bei den kurzen Haaren, so besaß Maxime doch einen kleinen Spiegel, den er während des Unterrichts aus der Tasche zog, zwischen zwei Buchseiten legte und sich dann stundenlang darin betrachtete, seine Augen, sein Zahnfleisch prüfte, sich verliebt ansah und allerlei Mätzchen einübte. Seine Kameraden hängten sich an seine Bluse wie an einen Frauenrock, und er zog sich den Gürtel so fest, daß er eine schlanke Taille bekam und sich in den Hüften wiegte wie eine Frau. Allerdings wurde er ebensooft geschlagen wie geliebkost. Das Gymnasium von Plassans wurde dadurch, daß es, wie die meisten Provinzschulen, ein Schlupfwinkel für kleine Übeltäter war, zu einer schmutzigen Stätte, an der sich die geschlechtslose Natur dieses Kindes, das, wer weiß von welchem unbekannten Vorfahren her, das Böse bereits in sich trug, besonders stark entfaltete. Mit zunehmendem Alter änderte sich das glücklicherweise. Doch das Brandmal seiner verwahrlosten Kinderjahre, die Verweichlichung seines ganzen Wesens, die Zeit, in der er sich für ein Mädchen gehalten hatte, sollten in ihm fortwirken und seine Männlichkeit für immer beeinträchtigen.
    Renée nannte ihn »Fräulein«, ohne zu ahnen, daß sie sechs Monate früher mit dieser Anrede recht gehabt hätte. Sie fand ihn sehr gefügig, sehr liebevoll und fühlte sich sogar oft durch seine Zärtlichkeit unangenehm berührt. Er hatte eine Art sie zu umarmen, die ihr das Blut unter die Haut trieb. Entzückt aber war sie von seinen Schelmereien; er konnte unglaublich komisch und frech sein, sprach schon lächelnd über Frauen, nahm es sogar mit Renées Freundinnen auf, mit der lieben Adeline, die soeben Herrn d’Espanet geheiratet hatte, und mit der rundlichen Suzanne, seit ganz kurzem Gattin des Großindustriellen Haffner. Mit vierzehn Jahren verliebte er sich bereits in Suzanne. Er hatte seine Stiefmutter ins Vertrauen gezogen, und diese amüsierte sich köstlich darüber.
    »Ich würde Adeline vorziehen«, sagte sie, »sie ist viel hübscher.«
    »Mag sein«, gab der Schlingel zurück, »aber Suzanne ist doch viel dicker … Mir gefallen die üppigen Frauen … Wenn du nett wärest, würdest du bei ihr ein Wort für mich einlegen.«
    Renée lachte. Ihre Puppe, dieser große Schlingel mit dem Mädchengesicht, war unbezahlbar in seiner Verliebtheit. Es kam ein Zeitpunkt, da sich Frau Haffner ernstlich zur Wehr setzen mußte. Im übrigen ermutigten diese Damen selber Maxime durch ihr Gekicher, ihre Andeutungen, die kokette Haltung, die sie vor dem frühreifen Jungen einnahmen. Dabei spielte das Prickelnde einer höchst aristokratischen Ausschweifung mit. Alle drei genossen, inmitten ihres so bewegten, von Leidenschaften verzehrten Daseins, die reizvolle Verderbtheit des Knaben wie ein seltenes, ungefährliches Gewürz, das den Appetit anregt. Er durfte ihre Kleider anfühlen, durfte mit streichelnden Fingern ihre Schultern berühren, wenn er sie ins Vorzimmer hinausbegleitete, um ihnen den Abendmantel umzulegen; sie ließen ihn von Hand zu Hand gehen und lachten wie toll, wenn er ihnen die Innenseiten des Handgelenks küßte, dort, wo die Haut so zart ist, daß die Venen hindurchschimmern; dann wieder gaben sie sich mütterlich und erteilten ihm geradezu wissenschaftlichen Unterricht in der Kunst, ein eleganter Mann zu sein und den Frauen zu gefallen. Er war ihr Spielzeug, ein Männchen mit einem höchst sinnreichen Mechanismus, das umarmte, den Hof machte, die liebenswürdigsten Laster der Welt hatte, aber doch immer ein Spielzeug für sie blieb, ein Pappmännchen, das man nicht allzusehr fürchtete, jedoch genug, um unter dem Streicheln seiner Kinderhand einen sehr süßen Schauer zu verspüren.
    Zu Beginn des neuen Schuljahres kam Maxime auf das Gymnasium Bonaparte. Es war das Gymnasium der eleganten Welt, das richtige für Saccards Sohn. So verweichlicht und oberflächlich der Junge auch war, besaß er damals doch einen recht lebhaften Geist; seine Bemühungen galten indes allem anderen als dem, was er in der Schule lernen sollte. Er war aber ein sehr ordentlicher Schüler, der

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