Die Beute - 2
wagte noch weit schändlichere Dinge aus dem Gymnasium in Plassans zu erzählen.
»Ach, ich, ich kann es gar nicht sagen …«, murmelte Renée.
Dann neigte sie sich zu seinem Ohr, als habe allein der Klang ihrer Stimme sie erröten lassen, und vertraute ihm eine jener Klostergeschichten an, wie sie in den zotigsten Chansons vorkommen. Er verfügte über eine viel zu reiche Auswahl derartiger Anekdoten, als daß er ihr etwas schuldig geblieben wäre. Er summte ihr die gemeinsten Couplets ins Ohr. Und nach und nach gerieten sie in einen Zustand seltsamen Glücks, gewiegt von all der aufgerührten Sinnlichkeit, gekitzelt von allerlei kleinen Begierden, die sich nicht in Worte fassen ließen. Der Wagen rollte sanft dahin, sie kehrten in süßer Mattigkeit heim, erschöpfter als am Morgen nach einer Liebesnacht. Sie hatten gesündigt wie zwei Buben, die ohne Liebchen umherstreifen und sich mit ihren gegenseitigen Erinnerungen begnügen.
Noch größere Vertraulichkeit und Zwanglosigkeit herrschte zwischen Vater und Sohn. Saccard hatte eingesehen, daß ein großer Finanzmann die Frauen lieben und gelegentlich Torheiten für sie begehen müsse. In der Liebe war er roh, das Geld war ihm wichtiger; dennoch nahm er es in sein Programm auf, sich in den Alkoven herumzutreiben, auf gewissen Kaminsimsen Banknoten zurückzulassen und sich von Zeit zu Zeit einer gefeierten Halbweltdame als vergoldetes Aushängeschild für seine Spekulationen zu bedienen. Als Maxime das Gymnasium verlassen hatte, trafen sie sich bei denselben Damen und lachten darüber. Sie wurden sogar fast zu Rivalen. Manchmal, wenn der junge Mensch mit irgendeiner lärmenden Gesellschaft im Maisond’Or97 speiste, hörte er aus einem benachbarten Raum Saccards Stimme.
»Sieh da, Papa ist nebenan«, rief er dann laut, mit einer Grimasse, die er einem der damals gefeierten Schauspieler nachahmte. Er ging und klopfte an die Tür des Séparées, voller Neugierde, die »Eroberung« des Vaters zu sehen.
»Ah! Du bist’s«, sagte jener heiter. »Komm doch herein! Ihr macht ja einen solchen Radau, daß man sich nicht einmal essen hört. Mit wem bist du denn zusammen?«
»Nun, Laure d’Aurigny ist da, Sylvia, der Krebs und noch zwei andere, glaube ich. Man muß über sie staunen: sie stecken die Finger in die Schüsseln und werfen einander Hände voll Salat an den Kopf. Mein Frack ist ganz voll Öl.«
Der Vater lachte, er fand das sehr komisch.
»Ja freilich, die Jugend, die Jugend«, murmelte er. »Die sind anders als wir, nicht wahr, mein Kätzchen? Wir haben hübsch ruhig gegessen, und jetzt gehen wir in die Heia!«
Und er griff seiner Nachbarin ans Kinn und girrte mit seinem provenzalischen Genäsel, was eine merkwürdige Liebesmusik ergab.
»O der alte Gimpel!« rief die Frau. »Guten Tag, Maxime! Ich muß ja gründlich in Sie verschossen sein, daß ich mich dazu hergebe, mit Ihrem Spitzbuben von Vater zu soupieren … Man sieht Sie ja gar nicht mehr! Kommen Sie doch übermorgen am frühen Vormittag … Nein, wirklich, ich muß Ihnen etwas sagen.«
Saccard verzehrte mit seliger Zufriedenheit in kleinen Happen sein Eis oder eine Frucht. Er küßte die Frau auf die Schulter und sagte zuvorkommend: »Meine Lieben, wenn ich euch im Wege bin, verschwinde ich, daß ihr es wißt … ihr klingelt dann, wenn ich wiederkommen darf.«
Daraufhin entfernte er sich mit der Dame oder nahm sie auch zuweilen zu der lärmenden Gesellschaft im benachbarten Salon mit. Maxime und er teilten sich in die gleichen Schultern, ihre Hände trafen sich an derselben Taille. Sie nötigten einander, sich auf einem der Diwane niederzulassen, und erzählten sich ganz laut die Heimlichkeiten, die die Frauen ihnen ins Ohr geflüstert hatten. Und sie trieben die Vertraulichkeit so weit, daß sie miteinander berieten, wie man die Blonde oder die Braune, die sich einer von ihnen ausgesucht hatte, aus der Gesellschaft entführen könnte.
Bei Mabille98 waren sie Stammgäste. Nach irgendeinem vornehmen Diner fanden sie sich Arm in Arm dort ein, schlenderten durch den Garten, begrüßten die Frauen, riefen ihnen im Vorbeigehen ein Wort zu. Sie lachten schallend und leisteten, immer untergefaßt, notfalls einander Beistand, wenn die Unterhaltung gar zu lebhaft wurde. Der Vater rühmte, in diesem Punkt besonders tüchtig, die Liebschaften seines Sohnes. Zuweilen setzten sie sich auch hin und zechten mit etlichen Dämchen. Dann wechselten sie den Tisch oder promenierten wie zuvor. Und bis
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