Die Beute - 2
sie sich verworren an eine frühere Existenz zu erinnern; sie sah dann unklare Schattenbilder vor sich, bizarre Szenen, Männer und Frauen, die einander umarmten, ein ganzes sinnliches Drama, an dem sich ihre kindliche Neugier ergötzte. Es war die Mutter, die in ihr lebendig wurde. In ihrem kindischen Wesen setzte sie das Laster fort. Je größer sie wurde, desto weniger Vorgänge riefen Erstaunen bei ihr hervor; sie hatte alles schon einmal erlebt, wußte vielmehr alles und rührte mit so sicherer Hand an verbotene Dinge, daß sie einem Menschen glich, der nach langer Abwesenheit nach Hause kommt und nur die Hand auszustrecken braucht, um es sich behaglich zu machen und sich seines Heims zu freuen. Dieses sonderbare kleine Mädchen, dessen verdorbene Instinkte Maxime Vergnügen machten, besaß aber außerdem in diesem zweiten Leben, das sie als Jungfrau mit dem Wissen und dem Schamgefühl einer erfahrenen Frau lebte, eine unschuldige Frechheit, ein prickelndes Gemisch von Kinderei und Kühnheit, so daß sie Maxime schließlich gefallen und ihm sogar viel amüsanter vorkommen mußte als Sylvia, dieses Wuchererherz, Tochter eines ehrsamen Papierhändlers und im Grunde schrecklich kleinbürgerlich.
Unter Gelächter wurde die Heirat abgesprochen, und man beschloß, die »jungen Schelme« erst heranwachsen zu lassen. Die beiden Familien lebten in enger Freundschaft. Herr de Mareuil betrieb seine Kandidatur. Saccard lauerte auf seine Beute. Es war so gedacht, daß Maxime seine Ernennung zum Auditeur beim Staatsrat als Morgengabe überreichen sollte.
Unterdessen schien das Glück der Saccards seinen Gipfel erreicht zu haben; es flammte wie ein Riesenfreudenfeuer inmitten von Paris. Es war die Stunde, da die gierige Teilung der Jagdbeute mit ihrem Hundegebell, ihrem Peitschenknallen und dem Leuchten der Fackeln einen Teil des Waldes erfüllte. Die entfesselten Begierden fanden endlich Befriedigung in der Schamlosigkeit des Triumphs, im Lärm der niedergerissenen Stadtviertel und der in sechs Monaten aufgebauten Vermögen. Die Stadt war nur noch eine ungeheure Schwelgerei in Millionen und in Frauen. Das Laster, das von oben kam, floß in die Rinnsteine, drang in das Bassins, stieg wieder auf in den Springbrunnen der Gärten, um als feiner, durchdringender Regen von neuem auf die Dächer herabzufallen. Und wenn man nachts über die Brücken ging, so war es, als führe die Seine mitten durch das schlafende Häusermeer die Abfälle der Stadt mit sich: Brocken, die von den Tischen gefallen waren, Spitzenschleifen, die man auf Diwanen vergessen hatte, in Droschken zurückgelassene Haarlocken, aus den Miedern geglittene Banknoten, alles, was rohe Gier und augenblickliche Befriedigung der Triebe auf die Straße werfen, nachdem sie es beschmutzt und zerbrochen haben. Dann spürte man im Fieberschlaf von Paris weit mehr noch als in der keuchenden Hetze des hellen Tages die geistige Zerrüttung, den übergoldeten, wollüstigen Alptraum einer von Gold und Sinnenrausch toll gewordenen Stadt. Bis Mitternacht sangen die Geigen; dann erloschen die Fenster, und Schatten senkten sich über die Stadt. Paris glich einem riesigen Alkoven, in dem mit der letzten Kerze das letzte Schamgefühl erlischt. Nichts mehr gab es auf dem Grunde dieser Finsternis als ein ungeheures Röcheln rasender, von Überdruß begleiteter Liebesleidenschaft, während die Tuilerien am Rande des Wassers ihre Arme im Dunkel wie zu einer riesigen Umarmung ausbreiteten.
Saccard hatte soeben den Bau seiner Villa am Parc Monceau auf einem der Stadt gestohlenen Grundstück beendet. Er hatte sich im ersten Stock ein herrliches, in Palisander und Gold gehaltenes Arbeitszimmer vorbehalten, mit hohen verglasten Bücherschränken voller Akten und ohne ein einziges Buch; der in die Mauer eingelassene Kassenschrank glich einem eisernen Alkoven, groß genug als Bett für eine Milliardenliebschaft. Saccards Vermögen häufte sich dort, stellte sich frech zur Schau. Alles schien ihm zu gelingen. Als er die Rue de Rivoli verließ, seinen Haushalt vergrößerte, seinen Aufwand verdoppelte, sprach er zu seinen Vertrauten von bedeutenden Geschäftsgewinnen. Nach seinen Angaben trug ihm seine Verbindung mit den Herren Mignon und Charrier riesige Summen ein; noch besser lohnten sich seine Grundstücksspekulationen; der Crédit viticole endlich schien eine unerschöpflich Milch spendende Kuh zu sein. Saccard hatte eine Art, seine Reichtümer aufzuzählen, die seine Zuhörer betäubte und
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