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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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zum Spalier, während die schwarzen Fräcke unwillkürlich bescheiden einen Schritt zurücktraten. Renée fand sich an das Ende der Schulterreihe gedrängt, nahe der zweiten Tür, der der Kaiser mit mühsamen, wankenden Schritten zustrebte. So sah sie ihn von einer Tür bis zur anderen auf sich zukommen.
    Er war im Frack mit dem roten Großkordon der Ehrenlegion. Renée, wieder von Erregung ergriffen, konnte nur undeutlich sehen, und dieser blutrote Fleck schien ihr die ganze Brust des Monarchen zu bespritzen. Er kam ihr klein vor, kurzbeinig, hüftlahm; aber sie war dennoch entzückt, und in ihren Augen war er schön mit seinem blassen Antlitz, dem schweren bleifarbenen Augenlid, das auf sein glanzloses Auge fiel. Unter seinem Schnurrbart war der Mund schlaff geöffnet; nur die Nase war knochig geblieben in dem aufgelösten Gesicht.
    Der Kaiser und der alte General gingen mit gemächlichen Schritten vorwärts, schienen einander wie ermattet zu stützen und lächelten vag. Sie betrachteten die Damen, die sich tief verneigt hielten, und ihre Blicke glitten nach rechts und links in die Decolletés. Jetzt beugte sich der General zur Seite, flüsterte seinem Herrn etwas zu und drückte ihm in einer Art fröhlicher Kameradschaft den Arm. Und der Kaiser, schlaff und verhangen, erloschener noch als gewöhnlich, kam immer näher mit seinem schleppenden Gang.
    Sie waren bis in die Mitte des Saales gelangt, als Renée plötzlich fühlte, daß sie den Blick auf sie hefteten. Der General betrachtete die junge Frau aus runden Augen, während beim Kaiser, der halb die Lider hob, ein fahler Glanz in dem unbestimmten Grau seiner trüben Augen aufglomm. Fassungslos senkte Renée den Kopf, verbeugte sich tief und sah nur noch das Rosettenmuster des Teppichs. Doch sie konnte den Schatten des Kaisers und seines Begleiters beobachten und merkte, daß sie einige Sekunden ihr gegenüber verweilten. Und sie glaubte zu vernehmen, wie der Kaiser, dieser unberechenbare Träumer, der sie jetzt ansah, während sie in ihrem samtgestreiften Musselinrock versank, murmelte: »Sehen Sie doch, General, da wäre eine Blume zu pflücken, eine seltene, schwarzweiß gestreifte Nelke!«
    Und der General erwiderte in derberem Ton: »Majestät, diese Nelke würde verteufelt gut in unsere Knopflöcher passen!«
    Renée hob den Kopf. Die Erscheinung war verschwunden, ein Strom von Menschen staute sich an der Tür.
    Nach diesem Abend kam sie noch oft in die Tuilerien, es widerfuhr ihr sogar die Ehre, laut von seiner Majestät gerühmt und ein bißchen seine Freundin zu werden; nie aber vergaß sie, wie der Herrscher langsam und schwerfällig zwischen den beiden Schulterreihen durch den Saal geschritten war, und so oft ihr mit dem wachsenden Vermögen ihres Gatten ein neuer Genuß zuteil wurde, sah sie wieder den Kaiser vor sich, wie er, Herr über die sich neigenden Busen, auf sie zukam und sie mit einer Nelke verglich, die der alte General ihm für sein Knopfloch empfahl. Das war für sie der Höhepunkt ihres Lebens.
     

Kapitel IV
    Das eindeutige und heftige Verlangen, das unter den erregenden Düften des Treibhauses im Herzen Renées aufgebrochen war, als Maxime und Louise lachend auf einer der Causeusen des dotterblumengelben Salons saßen, schien zu verlöschen wie ein Alptraum, von dem nur noch ein unbestimmter Schauder zurückbleibt. Noch die ganze Nacht über schmeckte die junge Frau die Bitterkeit der Tanghinia auf ihren Lippen; sie empfand das Brennen dieses abscheulichen Blattes, als presse sich ein Flammenmund auf den ihren und hauche ihr eine verzehrende Leidenschaft ein. Dann entglitt ihr dieser Mund, und ihr Traum ertrank in der Flut der Dunkelheit, die sie umwogte.
    Gegen Morgen schlief sie etwas. Beim Erwachen glaubte sie, krank zu sein. Sie ließ die Vorhänge zuziehen, sprach ihrem Arzt von Übelkeit und Kopfschmerzen und wollte zwei Tage lang keinen Fuß vor die Tür setzen. Und da sie sich wie belagert fühlte, war sie für niemanden zu sprechen. Maxime klopfte vergebens bei ihr an. Er schlief nicht zu Hause, um möglichst frei über seine Räume verfügen zu können; im übrigen führte er das nomadenhafteste Leben der Welt, hauste in den verschiedenen Neubauten seines Vaters, wählte jeweils das Stockwerk, das ihm zusagte, zog alle Monate um, manchmal aus Laune, manchmal um ernsthaften Mietern Platz zu machen. In Gesellschaft irgendeiner Geliebten spielte er den Trockenwohner. An die Launen seiner Stiefmutter gewöhnt, heuchelte er

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