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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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eingeprägt hatte, um sie später ihren Vertrauten beschreiben zu können, ging sie zu den Personen über. Die Männer waren ihr bekannt, es waren zumeist dieselben Finanzleute, dieselben Politiker, dieselben jungen Lebemänner, die zu ihren DonnerstagEmpfängen zu kommen pflegten. Hie und da glaubte sie sich in ihren eigenen Salon versetzt, wenn sie eine Gruppe lächelnder, schwarzbefrackter Herren vor sich sah, die Tags zuvor bei ihr zu Hause im Gespräch mit der Marquise d’Espanet oder der blonden Frau Haffner genauso gelächelt hatten. Und wenn sie die Frauen ansah, schwand jene Sinnestäuschung auch nicht ganz. Laure d’Aurigny war, wie Suzanne Haffner, ganz in Gelb, und Blanche Muller trug genauso ein weißes, im Rücken bis zur Gürtellinie ausgeschnittenes Kleid wie Adeline d’Espanet. Endlich bat Maxime um Gnade, und sie geruhte, sich mit ihm auf einer Causeuse niederzulassen. Hier blieben sie eine Weile, und der junge Mann gähnte, während ihn Renée nach den Namen der Damen fragte, die sie mit den Blicken entkleidete und dabei ausrechnete, wie viele Meter Spitze wohl in den Volants aufgegangen sein mochten. Als Maxime sie in dieses ernste Studium vertieft sah, stahl er sich endlich doch fort und trat zu Laure d’Aurigny, die ihn herbeigewinkt hatte. Sie neckte ihn mit der Dame, die er auf dem Halse habe. Dann nahm sie ihm das Versprechen ab, sich gegen ein Uhr mit ihnen im Café Anglais zu treffen.
    »Dein Vater wird auch dort sein«, rief sie ihm zu, als er zu Renée zurückkehrte.
    Er fand sie inmitten einer Gruppe schallend lachender Frauen und seinen Platz bei Renée durch Herrn de Saffré besetzt, der die Gelegenheit wahrgenommen hatte, sich an sie heranzumachen und ihr derbe Schmeicheleien zu sagen. Dann fingen Herr de Saffré, die Frauen und alle übrigen an zu schreien und sich auf die Schenkel zu schlagen, daß es Renée in den Ohren gellte und sie, nun ihrerseits gähnend, aufstand und zu ihrem Begleiter sagte: »Laß uns gehen, sie sind zu albern!«
    Als sie hinausgingen, kam gerade Herr de Mussy. Er schien sehr froh, Maxime zu treffen, und murmelte, ohne sich um dessen maskierte Begleiterin zu kümmern, mit wehleidiger Stimme: »Ach mein Freund, sie bringt mich noch um! Ich weiß, daß es ihr besser geht, und trotzdem verschließt sie ihre. Tür vor mir. Bitte, sagen Sie ihr, daß Sie Tränen in meinen Augen gesehen haben.«
    »Seien Sie beruhigt, es wird ihr ausgerichtet werden«, sagte der junge Mann mit einem merkwürdigen Lächeln.
    Und dann auf der Treppe: »Nun also, kleine Stiefmama, hat dich der arme Junge nicht gerührt?«
    Sie zuckte mit den Achseln, ohne zu antworten. Unten auf dem Bürgersteig hielt sie einen Augenblick inne, ehe sie in die Droschke stieg, die auf sie gewartet hatte, und blickte zögernd nach der Madeleine und dem Boulevard des Italiens. Es war kaum halb zwölf, und auf dem Boulevard herrschte noch reges Leben.
    »Also fahren wir heim«, murmelte sie bedauernd.
    »Falls du nicht noch ein Weilchen die Boulevards entlangfahren möchtest«, antwortete Maxime.
    Sie war einverstanden. Ihre weibliche Neugier war unbefriedigt geblieben, und sie war unglücklich darüber, um eine Illusion ärmer und mit beginnender Migräne nach Hause fahren zu sollen. Sie hatte immer geglaubt, ein Schauspielerinnenball sei zum Totlachen lustig.
    Wie manchmal in den letzten Oktobertagen, schien der Frühling zurückgekehrt, die Nacht war mild wie im Mai, und ein gelegentliches kaltes Lüftchen erhöhte die Heiterkeit der Atmosphäre. Schweigend, den Kopf am Wagenfenster, betrachtete Renée die Menge, die Cafés, die Restaurants, die in endloser Reihe an ihr vorüberglitten. Sie war ganz ernst geworden, verloren in jene unbestimmten Sehnsüchte, die so oft die Träumereien der Frauen erfüllen. Der breite Bürgersteig, über den die Röcke der Dirnen fegten und auf dem die Männerstiefel mit eigentümlicher Vertrautheit dröhnten, der graue Asphalt, über den der Galopp des Vergnügens und der leichten Liebschaften dahinzueilen schien, weckten in ihr schlummernde Wünsche, machten sie den dummen Ball, von dem sie kam, vergessen und ließen sie andere, prickelndere Freuden ahnen. An den Fenstern der Séparées des Brébant101 erschienen auf dem Weiß der Vorhänge die Schatten von Frauen. Und Maxime erzählte eine recht gewagte Geschichte von einem betrogenen Ehemann, der auf solch einem Vorhang den Schatten seiner Frau mit dem eines Liebhabers in flagranti102 überrascht hatte. Sie

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