Die Beute - 2
schien sie ihre »Torheit« vom Boulevard, wie sich Maxime ausdrückte, vergessen zu haben. Sie fragte ihn mit eigentümlicher Stimme: »Sie ist wohl recht drollig, die kleine bucklige Louise?«
»Oh, sehr drollig«, antwortete der junge Mann, der immer noch lachte. »Hast du die Herzogin de Sternich gesehen, mit dem gelben Vogel im Haar? Stell dir vor, Louise behauptet, es sei ein Vogel mit einem Uhrwerk, der stündlich mit den Flügeln schlüge und dem armen Herzog ›Kuckuck! Kuckuck‹ zurufe.«
Renée fand diesen recht freien Pensionsmädchenscherz sehr komisch. Als sie zu Hause angelangt waren und Maxime sich verabschieden wollte, sagte sie: »Willst du nicht mit hinaufkommen? Céleste hat sicher einen Imbiß für mich bereitgestellt.« In seiner gewohnten Nachgiebigkeit kam er mit. Oben gab es nichts zu essen. Céleste war schon zu Bett gegangen. Renée mußte die Kerzen eines kleinen dreiarmigen Leuchters anzünden. Ihre Hand zitterte etwas dabei.
»Diese Gans!« sagte sie von ihrer Zofe. »Sie wird meine Anordnungen falsch verstanden haben … Niemals werde ich mich ohne Hilfe ausziehen können.« Sie ging in ihr Ankleidezimmer hinüber. Maxime folgte ihr, um ihr einen neuen Ausspruch Louisens zu erzählen, der ihm gerade eingefallen war; seelenruhig, als hielte er sich noch etwas bei einem Freund auf, griff er nach seinem Zigarrenetui und wollte sich eine Havanna anzünden. Renée aber, die inzwischen den Leuchter hingestellt hatte, wandte sich plötzlich um, sank dem jungen Mann stumm und verwirrend in die Arme und preßte ihre Lippen auf seinen Mund.
Renées private Gemächer waren ein Nest aus Seide und Spitzen, ein Wunderwerk an zierlichem Luxus. Durch ein sehr kleines Boudoir gelangte man in das Schlafzimmer. Die beiden Zimmer bildeten einen einzigen Raum, wenigstens war das Boudoir kaum mehr als der Vorplatz des Schlafzimmers, ein großer Alkoven mit Diwanen, vom Schlafzimmer nicht durch eine feste Tür, sondern nur durch Portieren getrennt. In beiden Räumen waren die Wände mit einem matten, flachsfarbenen Seidenstoff bespannt, der mit riesigen Sträußen von Rosen, weißem Flieder und Dotterblumen durchwirkt war. Die Vorhänge und Portieren aus venezianischer Spitze ließen ein grau und rosa gestreiftes Seidenfutter durchschimmern. Im Schlafzimmer prangte der weiße Marmorkamin, ein wahres Kleinod, wie ein Blumenkorb mit seinen kostbaren Lapislazuli und Mosaikinkrustationen, in denen sich die Rosen, der weiße Flieder und die Dotterblumen der Wandbespannung wiederholten. Ein großes Bett in Hellgrau und Rosa, dessen Holz völlig von Stoff und Polsterung verdeckt war und das mit dem Kopfende an der Wand stand, nahm mit seiner von der Decke bis auf den Teppich herabfallenden Flut von Draperien aus Spitzen und mit Blumen durchwirkter Seide das halbe Zimmer ein. Das Ganze glich einem Kleid, hier abgerundet, dort ausgeschnitten, mit einer Unmenge von Puffen, Schleifen und Volants, und dieser üppige Vorhang, der sich wie ein Frauenrock blähte, ließ an eine riesengroße verliebte Dame denken, die sich, dem Vergehen nahe, herabbeugt und gleich auf das Kopfkissen sinken wird. Hinter dem Vorhang tat sich das Allerheiligste auf: fein plissierter Batist, eine Schneelandschaft aus Spitzen, allerlei zarte und durchsichtige Dinge, die in einem geheimnisvollen Halbdunkel versanken. Neben dem Bett, diesem Monument, das in seiner feierlichen Weiträumigkeit an eine zu einem Fest geschmückte Kapelle erinnerte, verschwanden alle übrigen Möbel: die niedrigen Sessel, ein zwei Meter hoher Stehspiegel, Kommoden mit unendlich vielen Schubfächern. Der bläulichgraue Teppich war mit entblätterten blaßrosa Rosen bestreut. Und zu beiden Seiten des Bettes lagen, die Köpfe dem Fenster zugewandt, große, schwarze, mit rosa Samt eingefaßte Bärenfelle mit silbernen Klauen und starrten mit ihren Glasaugen in den leeren Himmel.
Im ganzen Raum herrschte wohltuende Ausgeglichenheit, ein wartendes Schweigen. Kein Aufblitzen von Metall oder blanker Vergoldung, kein harter Ton klang in dieser verträumten Melodie von Rosa und Grau auf. Selbst das gesamte Zubehör des Kamins, der Spiegelrahmen, die Stutzuhr, die kleinen Armleuchter, bestand aus altem Sèvresporzellan110, dessen vergoldete Kupferfassungen kaum sichtbar wurden. Diese Kamingarnitur war ein kleines Wunder, namentlich die Uhr mit ihrem Reigen pausbäckiger Amoretten, die zum Zifferblatt hinunterkletterten, sich darüberbeugten, als lachten sie wie eine Bande
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