Die Beute - 2
kleines Häuschen gemietet hatten. Als jedoch Céleste gegen Abend ihrer Herrin sagte, daß Frau Sidonie, die Schwester des Hausherrn, sie sprechen möchte, erhielt sie Weisung, den Besuch vorzulassen.
Frau Sidonie kam in der Regel erst in der Dämmerung. Ihr Bruder hatte immerhin erreicht, daß sie in seidenen Kleidern ging, aber unerklärlicherweise sah die neugekaufte Seide, sobald Sidonie sie trug, niemals neu aus, sie knitterte, verlor ihren Glanz, glich einem Fetzen. Sidonie hatte sich auch darein gefunden, ihren Korb zu Hause zu lassen, wenn sie zu den Saccards ging. Dafür waren ihre Taschen bis obenhin mit Papieren vollgestopft. Renée interessierte sie, obwohl keine brauchbare Kundin aus ihr zu machen war, die sich den Notwendigkeiten des Lebens fügte. Sie besuchte die Schwägerin regelmäßig, mit dem diskreten Lächeln eines Arztes, der seinen Patienten nicht mit dem wahren Namen seiner Krankheit erschrecken will. Sie war voller Mitleid für Renées kleine Leiden, als wären sie irgendein Wehwehchen, das sie sofort heilen würde, wenn die junge Frau nur wollte. Diese, die sich in einer jener Stimmungen befand, bei denen man bedauert werden möchte, ließ Sidonie nur eintreten, um ihr mitzuteilen, daß sie unerträgliche Kopfschmerzen habe.
»Aber, mein schönes Kind«, murmelte Sidonie, während sie in das fast dunkle Zimmer glitt, »Sie ersticken hier ja! Wieder Ihre Neuralgie, nicht wahr? Das kommt vom Kummer. Sie nehmen das Leben zu schwer.«
»Ja, ich habe viele Sorgen«, antwortete Renée matt.
Es dunkelte. Sie hatte Céleste nicht erlaubt, eine Lampe anzuzünden. Nur das Kaminfeuer warf einen breiten roten Schein, der sie voll beleuchtete, wie sie da in ihrem weißen Morgenrock hingestreckt lag, dessen Spitzen jetzt rosig schimmerten. Im Schatten gewahrte man nur einen Zipfel von Frau Sidonies schwarzem Kleid und ihre übereinandergelegten Hände, die in grauen Baumwollhandschuhen steckten. Ihre sanfte Stimme tönte aus der Finsternis.
»Schon wieder Geldsorgen!« sagte sie, als hätte sie »Liebeskummer«, gesagt, in einem Ton voller Güte und Mitgefühl.
Renée senkte die Augenlieder und machte eine zustimmende Geste.
»Ach, wenn meine Brüder nur auf mich hören wollten, wären wir allesamt reich. Aber beide zucken mit den Achseln, wenn ich die Dreimilliardenschuld erwähne. Sie wissen doch? Trotzdem bin ich voll Hoffnung. Seit zehn Jahren möchte ich nach England reisen. Ich habe leider so wenig Zeit für mich! Endlich habe ich mich entschlossen, nach London zu schreiben, und warte jetzt auf die Antwort.«
Und da die junge Frau lächelte: »Ich weiß, auch Sie gehören zu den Ungläubigen. Und doch wären Sie ganz zufrieden, wenn ich Ihnen eines Tages eine hübsche kleine Million zum Geschenk machte … Sehen Sie, die Geschichte ist ganz einfach: ein Pariser Bankier hat das Geld dem Sohn des englischen Königs geliehen, und da der Bankier ohne natürliche Erben starb, kann der Staat heute die Rückzahlung der Schuld mit Zins und Zinseszinsen fordern. Ich habe die Sache nachgerechnet, das ganze beläuft sich auf zwei Milliarden neunhundertdreiundvierzig Millionen und zweihundertzehntausend Francs … Nur keine Angst, das bekommen wir, das bekommen wir!«
»Einstweilen«, sagte die junge Frau mit einem Anflug von Ironie, »sollten Sie mir freundlichst hunderttausend Francs leihweise verschaffen … Dann könnte ich meinen Schneider bezahlen, der mich sehr bedrängt.«
»Hunderttausend Francs lassen sich aufbringen«, antwortete Frau Sidonie ruhig. »Es handelt sich lediglich darum, den Preis dafür festzusetzen.«
Das Kaminfeuer flackerte. Renée, die immer matter wurde, streckte die Füße aus, so daß die Spitzen ihrer Pantoffeln unter dem Saum ihres Morgenrocks hervorsahen. Die Kupplerin schlug wieder ihren mitleiderfüllten Ton an.
»Armes Kind, Sie sind wirklich unvernünftig … Ich kenne viele Frauen, aber nie ist mir eine begegnet, die sorgloser mit ihrer Gesundheit umginge als Sie. Zum Beispiel diese kleine Michelin, die versteht es, mit dem Leben fertigzuwerden. Unwillkürlich muß ich an Sie denken, wenn ich jene so glücklich und so wohlauf sehe … Wissen Sie, daß Herr de Saffré rasend in sie verliebt ist und ihr schon Geschenke im Werte von fast zehntausend Francs gemacht hat? Ich glaube, ihr größter Wunsch ist, ein Landhaus zu besitzen.«
Sie geriet in Eifer und kramte in ihrer Tasche.
»Da habe ich noch den Brief einer armen jungen Frau … Wenn wir Licht
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