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Die Beute

Die Beute

Titel: Die Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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Michael.
    »Und denken nach «, ergänzte Jenny. »Wir müssen herausfinden, wo dieser Stützpunkt ist.«
     
    Jenny schreckte aus dem Schlaf hoch und dachte: hypnopompe Halluzination? Ich glaube, ich bin wach, aber ich träume immer noch.
    Julian beugte sich über sie.
    »Tom!«, rief sie. Dann sah sie ihn neben ihr auf dem Boden liegen. Seine Atmung war tief und gleichmäßig. Ihr Ruf hatte ihn nicht geweckt.
    »Spar dir die Mühe. Es ist nur ein Traum. Komm ins Nebenzimmer, wo wir ungestört sind.«
    Jenny, die heute Nacht ihren eigenen Jogginganzug trug, zog ihre Decke höher hinauf. Wie ein viktorianisches Mädchen in einem Spitzennachthemd. »Du bist verrückt«, sagte sie so ruhig, wie es der Traum zuließ. »Wenn ich dort hineingehe, wirst du mich entführen.«

    »Werde ich nicht. Ich verspreche es.« Er bleckte die Zähne wie ein Wolf. »Erinnerst du dich an Perthro?«
    Die Rune des Glücksspiels, dachte Jenny und sah vor ihrem inneren Auge die Linien, die er in der Ballnacht in die Luft gezeichnet hatte. Die Rune des Fair Play, der Spielregeln. Was vermutlich bedeutete, dass er seine Versprechen hielt. Oder dass er dieses eine halten würde. Oder dass er sagte, er würde es halten.
    Aber vielleicht gibt er mir einen Hinweis, was den Stützpunkt betrifft, dachte Jenny. Sie und die anderen waren bis jetzt nicht sehr erfolgreich gewesen, selbst dahinterzukommen. Und es war ohnehin ein Traum. Sie stand auf und folgte ihm in Michaels Schlafzimmer, wo der Radiowecker vier Uhr dreiunddreißig anzeigte.
    »Wo ist Audrey?«, fragte sie scharf, als er sich zu ihr umdrehte. Wenn dies kein Traum gewesen wäre, hätte sie zu viel Angst gehabt, um irgendetwas zu sagen. Aber es war ein Traum, und alles, was sie tat, wurde von Traumlogik bestimmt.
    »In Sicherheit.«
    »Aber wo ist sie?«
    »Das möchtest du wohl gern wissen.« Sein Blick glitt über sie hinweg und er lächelte. »Ich muss schon sagen du siehst im Schlabberlook genauso gut aus wie in Haute Couture.«
    Es war doch kein Traum. Die Art, wie er Jenny aus der Fassung brachte, war viel zu real. Im Schein von
Michaels Nachttischlampe konnte sie seine Augen sehen, die beim Abschlussball von seiner Maske fast gänzlich verhüllt gewesen waren. Sie versuchte, die Farbe zu definieren. Es war das Blau, das man sieht, wenn man seine Finger auf die geschlossenen Lider drückt, das Blau der leuchtenden Fäden, die in die Schwärze radiert sind. Lebendiger als das Blau von elektrischen Blitzen. Eine Farbe außerhalb des Lichtspektrums, welches das menschliche Auge wahrnehmen kann. Die Farbe, die Jenny als Nachbild auf dem Computermonitor gesehen hatte. Jenny wandte den Blick ab und streckte ihm ihre Hand hin. »Ich will dieses Ding runterhaben, bitte, nur bis das Spiel vorbei ist. Nimm den Ring ab.«
    Er nahm stattdessen ihre Hand und strich mit dem Daumen über die Innenfläche. »Macht er Tom nervös?«
    »Nein. Er gefällt mir nicht.« Sie sah ihn wieder an und versuchte, ihm die Hand zu entziehen. Seine Finger waren kühler als Toms, aber genauso stark. »Ich hasse dich nämlich«, fügte sie ernst hinzu. Sie konnte nicht verstehen, warum er das niemals begreifen wollte. »Du bringst mich dazu, dich zu hassen.«
    »Ist es das, was du empfindest? Hass?«
    Jenny zitterte. Sie nickte verbissen.
    Ganz sanft zog er sie an der Hand zu sich heran. Sie hatte sich geirrt. Er war nicht so stark wie Tom, er war stärker. Kämpfen oder schreien?, dachte Jenny. Aber jetzt war er so nah. Sie konnte seinen Atem spüren. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

    Ihre Augen weiteten sich, als sie zu ihm aufschaute. Sein Blick ließ ihren Magen flattern. »Was hast du vor?«
    »Ich werde dich küssen …«
    Oh, war das alles?
    » … bis du ohnmächtig wirst.«
    Und dann schienen die Schatten des Raumes sie zu umschließen.
    Aber ein Teil von ihr hatte immer noch Kraft. Sie wurde nicht ohnmächtig, obwohl ihre Beine wieder schwach wurden. Sie stieß ihn weg.
    »Du bist böse «, flüsterte sie. »Wieso glaubst du, ich könnte jemals etwas Böses lieben? Es sei denn, ich bin ebenfalls böse …«
    Genau das fragte sie sich inzwischen. Aber er lachte. »Es gibt kein Gut und Böse, nur Schwarz und Weiß. Aber sowohl Schwarz als auch Weiß sind für sich allein langweilig, Jenny. Wenn du sie mischst, bekommst du unglaublich viele Farben …«
    Sie wandte sich ab. Sie hörte, wie er eines von Michaels Büchern hochhob.
    »Hier«, sagte er. »Hast du das mal gelesen?«
    Es war ein Gedicht:

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