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Die Beute

Die Beute

Titel: Die Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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Das menschliche Befinden von Howard Nemerov. Jenny überflog es, ohne den Sinn richtig zu verstehen. Es verwirrte sie.
    »Es geht um die Welt und die Gedankenwelt«, erklärte Julian. »Um die Welt an sich, verstehst du, und die Gedankenwelt, die anders ist. Eine bloße Vorstellung.
Im Gegensatz zur Realität.« Er lächelte sie an. »Das ist übrigens ein Hinweis.«
    Jenny war immer noch durcheinander. Sie konnte sich nicht auf das Gedicht konzentrieren und sie war seltsam müde. Ihre Augenlider waren schwer wie unter Hypnose. Ihr ganzer Körper fühlte sich warm und schwer an.
    Julian legte die Arme um sie und stützte sie. »Du solltest jetzt besser aufwachen.«
    »Du meinst, ich sollte besser schlafen gehen.«
    »Ich meine aufwachen. Wenn du nicht zu spät kommen willst.« Sie spürte seine Lippen auf ihrer Stirn und begriff, dass ihre Augen geschlossen waren.
    Sie musste sie öffnen … sie musste die Augen öffnen  … aber sie driftete an einen dunklen, stillen, warmen Ort. Driftete einfach … schwebte …
    Einige Zeit später zwang Jenny sich, die Augen zu öffnen. Sie blinzelte. Sie lag auf dem Boden in Michaels Wohnzimmer.
    Es war also doch ein Traum gewesen.
    Aber neben ihr lag ein aufgeschlagenes Buch mit dem Rücken nach oben. Zeitgenössische Poesie. Jenny hob es auf und sah das Gedicht, das Julian ihr gezeigt hatte.
    Jetzt da sie wach war und klar denken konnte, ergab das Gedicht mehr Sinn, es war sogar ein wenig spannend. Aber sie hatte keine Zeit, sich näher damit zu beschäftigen; bestimmte Worte fielen ihr ins Auge, und ihr Herz begann zu hämmern.

    Einst sah ich Welt und Vorstellung
genau übereinstimmen,
Doch nur in einem Bild von Magritte …
    Das Gedicht handelte von dem Bild eines Bildes von Magritte – von dem Bild, das Zach Jenny gezeigt hatte. Das Bild eines Bildes, das vor einem offenen Fenster stand und genau zu der Landschaft draußen passte. Es fügte sich ein wie ein Puzzleteil und stand allein in einem leeren Raum.
    Magritte, dachte Jenny. Oh Gott! Ein leerer Raum.
    Sie ließ das Buch fallen und packte Tom an der Schulter. »Tom! Tom, steh auf! Dee! Michael! Es geht um Zach!«

Zach schlief, als er das Kriechen um seine Beine zum ersten Mal spürte. Zumindest war er im Halbschlaf – er hatte schon seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen. Und nicht mehr richtig geträumt. Selbst wenn er stundenlang mit geschlossenen Augen dalag, plagten ihn noch dieselben Gedanken wie tagsüber.
    Er hatte sich schon gefragt, was mit einem passierte, wenn man tagelang nicht träumte. Bekam man Halluzinationen, während man umherlief?
    Doch heute Nacht schwebte er eindeutig am Rand eines Traumes, als er die Berührung an seinem Knöchel spürte. Ein glattes, gummiartiges Gefühl. Für einen Moment war er wie gelähmt, und dieser Moment reichte völlig aus: Das gummiartige Gefühl wand sich an seinem Bein hinauf, um seinen Bauch, seine Brust. Es zog sich wie ein lebendes Seil zusammen und schnürte ihm den Atem ab.
    Zach riss die Augen auf – und erblickte den Kopf einer Schlange, die ihm ins Gesicht starrte. Ihre Augen zwei Punkte glänzenden Lichts ihr Maul so weit geöffnet, als seien die Kiefer ausgehängt. Als wollte sie ihn fressen. Und aus diesem klaffenden Maul kam ein endloses, drohendes Zischhschhschhschhschhschh …

    Außerstande, sich zu bewegen, starrte Zach die sich hin und her windende Gestalt an. Dann veränderte sich seine Perspektive. Seine Augen schmerzten und er konnte den Kopf der Schlange nicht länger sehen. Die beiden Lichtpunkte sahen jetzt eher aus wie zwei im Dunkeln leuchtende Sterne, die er mit acht an seine Zimmerdecke geklebt hatte – die meisten davon hatte er zwar nach einer Standpauke seines Vaters wieder abgekratzt, aber ein paar waren noch da.
    Auch das Zischen konnte er jetzt nicht mehr hören. Nur das Schhschhschh der Klimaanlage.
    Seine Arme und Beine waren im Bettzeug verheddert.
    Oh Gott, dachte er und trat das Laken und die Decke weg. Er stand auf und schaltete das Licht ein. Jetzt wusste er, was geschah, wenn man tagelang nicht träumte. Natürlich war da keine Schlange in seinem Bett.
    Doch das Letzte, was er jetzt wollte, war, sich wieder hineinzulegen. Er konnte genauso gut in die Garage gehen. Selbst wenn er nicht arbeiten konnte, würde es ihn vielleicht ablenken.
    Als er die Garage erreichte, wartete die Schlange bereits auf ihn.
    Es war keine echte Schlange. Es war die Vorstellung von einer Schlange. Eine Schlange, wie sie sich ein

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