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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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an, vor dessen Gericht wir einst erscheinen werden und vor dessen Augen wir hier stehen. Und dies tue ich nicht durch irgendein Gesetz genötigt noch willens, dies als Gebrauch oder Beschluß in der heiligen Kirche meinen Nachfolgern und Brüdern Mitbischöfen irgend aufzulegen, sondern um euch sicherer von ungerechtem Verdacht zu befreien.«
    In der Peterskirche und auf dem Platz davor starrte die Menschenmenge nach oben. Gleich – gleich würde es geschehen! Doch aus dem blauen, wolkenlosen Himmel schoß kein einziger Blitz herab, es rumorte nicht in der Erde, kein feuerspeiender Drache erhob sein Haupt und verschlang den Papst, und die Wasser des Tiber traten nicht über die Ufer. Leo blieb unversehrt stehen.
    Gerswind überlegte, daß manch einem Römer angesichts dieser Tatsache durch den Kopf gehen würde, daß Jupiter derartiges wohl nicht zugelassen hätte. Die alten Götter mochten ihre Schwächen gehabt haben, aber auf sie war wenigstens Verlaß gewesen. Ihre Orakel waren zwar nicht immer verständlich, aber hinterher klar zu deuten gewesen. Weshalb also hielt der christliche Gott seine schützende Hand über einen Mann, der so log, daß sich die Marmorsäulen hätten biegen müssen?
    Irgend jemand stimmte das Tedeum an, und der Papst setzte sich mit feinem Lächeln wieder auf den Stuhl Petri.
    Karl hätte am liebsten applaudiert. Er kannte niemanden, der eine bessere Vorstellung hätte abgeben können. Welch ein listiger Fuchs!
    Als der Frankenkönig zu seiner Villa zurückkehrte, sah er zu seiner Überraschung drei Menschen in geistlicher Kleidung auf ihn warten. Freudig ging er auf seinen Hofpriester Zacharias zu. Dieser stellte ihm die beiden Jerusalemer Mönche in seiner Begleitung vor. Sie überreichten dem Frankenkönig ehrfurchtsvoll die Fahne der Stadt Jerusalem sowie die Schlüssel zum Heiligen Grab, zum Kalvarienberg und zum Berg Zion. Gaben, die eines Kaisers würdig gewesen wären. So fand dieser elende 23. Dezember doch noch einen guten Ausklang. Zwei Tage später, am ersten Weihnachtstag, betrat Karl mit großem Gefolge und seinem gleichnamigen Sohn neben sich die Peterskirche.
    Leo hatte ihn aufgefordert, sich den Römern zuliebe in deren weiße Tracht zu kleiden, den Purpurmantel über die Schultern zu hängen und die roten Senatorenschuhe anzuziehen. Die Bewohner der Ewigen Stadt würden wenig Verständnis zeigen, wenn sich der Frankenherrscher bei der Krönung seines Sohnes nicht in vollem Ornat zeigte. Karl, dem Prunk, Gepränge und unbequeme Gewänder verhaßt waren, hatte seufzend zugestimmt. Und dann hatte er dem jungen Karl genau erklärt, wie er sich während des Hochamts bei der Krönung zum König zu verhalten habe.
    Wie abgesprochen, legten Vater und Sohn vor der Messe ihre Kronen auf den Opfertisch und knieten dann in der halbrunden Apsis zum Gebet nieder. Der junge Karl war auf das vorbereitet, was danach geschehen sollte: Sein Vater würde die eigene Krone wieder an sich nehmen und die andere dem Sohn aufs Haupt drücken. Danach sollte der junge Karl vom Papst gesalbt werden.
    Doch es kam ganz anders.
    Nach dem Schlußevangelium ergriff Leo die fränkische Königskrone, hielt sie empor, daß ein jeder sie sehen konnte, setzte sie Karl aufs Haupt, sank vor ihm auf die Knie und huldigte ihm. Mit einem Mal erklang ein Sprechchor: »Karl dem Augustus, dem von Gott gekrönten großen und friedenstiftenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg!« Der Ruf wurde sofort aufgegriffen, hinaus auf den Petersplatz getragen, wo sein Widerhall das Glockengeläut der Kirche fast übertönte.
    Gerswind schlug die Hand vor den Mund. Karl starrte entgeistert auf den Papst.
    Der hatte ihn soeben zum Kaiser gekrönt. Unwiderruflich.

12
    Geschenke
    Die Jahre 800 bis 804
    Der Kaiser tobte.
    »Nie hätte ich die Peterskirche betreten, wenn ich geahnt hätte, was sich Leo erlauben würde!« Wutschnaubend schritt Karl die geräumige und luftige Empfangshalle seiner römischen Gastvilla ab.
    Außer den mitgereisten Familienmitgliedern und engsten Beratern wurde niemand Zeuge des Zorns, dem Karl jetzt ungezähmt seinen Lauf ließ. In der Kirche war ihm nichts anderes übriggeblieben, als hoheitsvolle Miene zum bösen Spiel zu machen und sich überdies noch von Kopf bis Fuß von Leo salben zu lassen, eine Neuerung, die das oströmische Kaisertum weder verlangte noch kannte.
    Auch in den Stunden danach verbarg Karl jegliche Spur seiner Entrüstung vor den unzähligen Menschen, die ihm als Imperator der

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