Die Beutefrau
Zeit so viel Aufmerksamkeit schenkte und sie gar von Mönchen niederschreiben ließ. Sein Sohn Ludwig war schlichtweg empört und untersagte den Klosterschulen seines Reichsteils, sich überhaupt damit zu befassen. Ludwig. Als ihr der Gedanke an den jüngsten Sohn des Kaisers kam, stieg ein solch unbändiger Zorn in ihr auf, daß sie mit einem Schlag aufhörte zu weinen. Ludwigs Untaten hatte sie ihm immer noch nicht heimgezahlt! Und wenn sie den kaiserlichen Hof verließ, würde sie dazu wohl kaum noch Gelegenheit finden.
Einen Augenblick schwankte sie in ihrer Entscheidung. Doch dann schüttelte sie erregt den Kopf. Wenn sie nur blieb, um den richtigen Zeitpunkt für ihre Rache abzuwarten, würde sie Ludwig abermals Macht über ihr Schicksal einräumen. Sie starrte auf den Felsen und flehte die heidnischen Götter an, Ludwig seiner gerechten Strafe zuzuführen. Der Unterstützung des christlichen Gottes war sie sich in dieser Sache nicht sicher. Schließlich empfahl der, bei einem Angriff auch noch die andere Wange hinzuhalten. Obendrein führte Ludwig ihn ständig als seinen Verbündeten an. Da vertraute sie doch lieber dem Ratschluß der heidnischen Götter.
Es gibt demnach keinen Grund mehr hierzubleiben, dachte sie nüchtern. Gut, sie prüfte immer noch das Tuch, das an des Kaisers Hof geliefert wurde, lehrte die kleinsten Töchter Karls nähen und beaufsichtigte die Schneiderstube, aber diese Aufgaben konnten andere ebensogut übernehmen. Der Kaiser würde sie bestimmt nicht mehr aufhalten, wenn sie jetzt das Weite suchte. Vielleicht würde er sogar froh sein, sie endlich loszuwerden, und ihr schönes Zimmer einer neuen Beischläferin zuweisen. Einer, die immer willig war und den großen Mann nicht lange hinhielt. Einer, der es nichts ausmachte, sich von ihm demütigen zu lassen.
Aber wo sollte sie hin? Sicher, sie könnte in Prüm ein Auskommen finden oder sich wie andere hochgestellte Frauen in irgendein Kloster zurückziehen. Beides reizte sie überhaupt nicht. Doch nach dieser Kränkung konnte und wollte sie nicht in Aachen bleiben und im Frauenhaus hören, wie die Schritte des Kaisers vor der Tür einer anderen Frau haltmachten. Jahrelang hatte sie sich eingeredet, über Eifersucht erhaben zu sein. Weil sie geglaubt hatte, für Karl etwas Besonderes zu sein.
Zögernd gestand sie sich endlich ein, daß sie sich eine Zukunft an des Kaisers Seite erwünscht hatte, auch wenn ihr unklar war, wie das vonstatten hätte gehen sollen. Etwa, daß er sie irgendwann aus lauter Sehnsucht heiraten und aus Liebe zu ihr künftig allen anderen Frauen entsagen würde? Ja, dachte sie betroffen, denn an dieser Stätte durfte sie sich nicht selbst belügen.
Genau das hatte sie erhofft und die Zeit als ihre Verbündete angesehen. Sie hatte damit gerechnet, daß Karl im Alter der Wanderung zwischen den Frauenzimmern müde werden und sich ganz ihr zuwenden würde. Sie hatte ihm erst dann wieder das gewähren wollen, was er zu begehren vorgegeben hatte. Denn sie wußte genau, daß sie nicht über die Großzügigkeit einer Liutgard verfügte und auch nicht über deren Standhaftigkeit. Das Herz zog sich ihr zusammen, als sie an den Rat dachte, den ihr Karls letzte Gemahlin auf dem Sterbelager gegeben hatte und den Gerswind jahrelang in der vermeintlichen Gewißheit befolgt hatte, daß es einzig an ihr läge, den Zeitpunkt zu bestimmen, wann sich der Kaiser von seiner Vielweiberei verabschieden würde. Was hatte sie sich da angemaßt! Nun, sie mußte den Tatsachen ins Gesicht sehen: Karl war nicht mehr an ihr interessiert, und sie konnte nicht länger in Aachen irgendwelcher Dinge harren, die doch nicht eintreten würden. Sie faßte sich an die Brust, wo immer noch der wertvolle Ring hing, der ihr den Weg in die Zukunft ebnen könnte.
»Ich wollte mich von dir verabschieden.«
Gerswind schrak auf.
»Mutter!«
Geva trat zwischen den Bäumen hervor und neigte leicht das Haupt. Gerswind fing sich wieder. Sie brauchte ihre soeben erst in Aachen eingetroffene Mutter nicht zu fragen, wie diese die Stätte der Macht gefunden hatte. Aus eigener Erfahrung wußte sie, daß der Wald selbst seinen Verbündeten den Weg wies. Aus den Tiefen ihrer frühesten Erinnerung stieg mit einem Mal das Bild einer Geva in ihr auf, die sie gelehrt hatte, zu einem Baum unter Bäumen, zu einem Strauch unter Sträuchern zu werden. Diese plötzliche Erkenntnis bestürzte Gerswind, die ihr ganzes Leben geglaubt hatte, diese besonderen Fähigkeiten den
Weitere Kostenlose Bücher