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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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derart kalt zurückweisen! Ihre Augen verengten sich, als sie Karl vor einer Tür haltmachen und mit fröhlichem Lachen eintreten hörte. Wie niederträchtig, daß er es vorzog, sich mit einer beliebigen Beischläferin zu vergnügen!
    Dahinschmelzen hätte er sollen, vor ihr, Gerswind, auf die Knie fallen und dankbar für die Gunst sein, die sie ihm endlich zu erweisen bereit gewesen war. Sie hatte sich alles ganz anders vorgestellt: Er sicherte ihrer Familie freies Geleit zu, und sie bot ihm dafür ihren Körper an. Ein Geschäft, bei dem sie den Preis festsetzte. Nicht einen Augenblick lang hatte sie daran gezweifelt, daß er nur allzugern von ihrem Angebot Gebrauch machen würde. Jahrelang hatte sie sich in dem Glauben gewiegt, durch ihre Zurückhaltung den Kaiser heimlich beherrschen zu können. Damals in Prüm hatte sie sich geschworen, sich niemals von Karl gängeln zu lassen und nie wie alle anderen nach seiner Pfeife zu tanzen. Und jetzt, da sie ihm endlich hatte gewähren wollen, was er scheinbar so heiß ersehnte, fiel ihm nichts Besseres ein, als sie zu verschmähen und zu beleidigen.
    Das Blut stieg ihr ins Gesicht, als sie an seine abfälligen Bemerkungen, seinen abschätzigen Blick und spöttischen Ton dachte. Sie sah sich auf die gleiche Stufe gestellt wie die Cousine des Papstes, die in jenen Tagen nach der Kaiserkrönung mit ihm ebensowenig handelseinig geworden war. Der Gedanke, daß Karl sie mit dem gleichen Hohn und Spott überzogen hatte wie einst die Römerin, ließ ihre Empörung steigen. Das Gemach kam ihr plötzlich eng und stickig vor. Sie konnte kaum atmen.
    Rasch zog sie sich wieder an, warf einen Umhang über die Schultern und eilte hinaus in den Wald. So schnell sie konnte, rannte sie zu jenem Felsen, an dem sie bisher immer Seelenruhe gefunden hatte.
    Außer Atem kniete sie vor dem großen Stein nieder und kühlte ihre Stirn an der glatten kalten Fläche.
    Alles ist verloren, hämmerte es in ihrem Kopf.
    Nach so vielen Jahren war Karls Verlangen offenbar erloschen wie ein Kochfeuer zwei Tage nach der Jagd. Kaiserin seines Herzens hatte er sie einst genannt und nie einen Zweifel daran gelassen, daß er sie begehrte. Das lange Warten hatte seine Liebe wohl erschöpft. Gerswind erschrak vor der Trauer, die dieser Gedanke in ihr aufkommen ließ. Sie sollte sich doch freuen, daß Mutter und Schwester freikämen, ohne daß sie dafür ein Opfer zu erbringen brauchte!
    Was soll ich jetzt noch am kaiserlichen Hof? Sie begann zu weinen. Vor Wut, sagte sie sich, als es ihr nicht gelang, den Tränen Einhalt zu gebieten. Doch jetzt richtete sich ihr Zorn weniger gegen Karl als vielmehr gegen sich selbst. Sie hielt sich doch nicht in Aachen auf, weil sie eine von Karls Gespielinnen sein wollte!
    Gerswind atmete tief durch. Sie zwang sich, nicht an die unwürdige Szene in ihrem Zimmer zu denken. Wie schäbig, schmutzig und klein hatte der König sie aussehen lassen! Wie furchtbar, daß sie sich ihm so dargeboten hatte! Und wieviel furchtbarer, daß er sie auf solche Weise erniedrigt hatte!
    Sie starrte durch ihren Tränenschleier den Stein an, als könnte er ihr den Stolz zurückgeben, den sie soeben verloren hatte. In ihrem Kopf herrschte ein großes Durcheinander. Sie klammerte sich an alle Gedanken, die nichts mit dem Mann zu tun hatten, der sie als Frau verschmäht hatte, Gedanken, die ihr wieder zu Selbstachtung verhelfen konnten.
    In wirklich wichtigen Angelegenheiten habe ich eine Menge bewirkt, überlegte sie trotzig. Sie dachte daran, wie sie im Kindesalter als Geisel dem König ausgeliefert und gezwungen worden war, an seinem Hof aufzuwachsen. Hatte sie dabei nicht das Beste aus ihrer Lage gemacht – auch das Beste für das Volk, von dem sie abstammte? Doch ihr Schluchzen wollte auch dann nicht abebben, als sie sich ins Gedächtnis rief, daß der König auf ihr Drängen – na schön, auch auf das Alkuins – die strengen Gesetze für die Sachsen gemildert hatte. Und für die Nachwelt hatte sie auch Wichtiges geleistet! Es war ihr zu verdanken, daß die alten Lieder nicht verlorengingen. Sie hatte alle heidnischen Geschichten und Legenden niedergeschrieben, die sie kannte. Der Kaiser hatte ihr Hildebrandlied und die anderen Helden- und Göttersagen an das Kloster Fulda weitergeleitet, wo sie von Meistern der Feder in wohlklingende Verse umgesetzt wurden.
    Wieviel Aufruhr hatte sie damit verursacht! Denn nicht jeder war damit einverstanden, daß der Kaiser den Geschichten aus heidnischer

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