Die Beutefrau
Dann kannst du schneller bei Judith sein, wenn sie dich braucht. Ist das wirklich so schrecklich?«
Wie versteinert stand sie da und sah ihn an.
»Muß ich meine Tür nachts verschließen, damit du nicht hineinschleichst und mich erdolchst?« fragte er. »Denn dazu hättest du Gelegenheit. Wenn du mein Angebot annimmst, gibt es niemanden auf dieser Pfalz, der dichter am Kaiser wohnt, niemanden, der ihm so nahe ist, und vor allem gibt es niemanden, den er lieber im Zimmer nebenan hätte.«
Wie eine warme Brise wehten seine Worte sie an.
»Wer bist du nur?« flüsterte sie.
Karl antwortete nicht sofort. Dann erwiderte er genauso leise: »Ich wäre gern niemand. Dann könnte ich jeder sein und als ein solcher dich einfach nur liebhaben. Doch ich bin der Kaiser. Und deshalb muß ich Beschlüsse fassen. Hart sein. Unversöhnlich und manchmal auch gnadenlos. Deinen Haß kann ich eher ertragen als deinen Schmerz, denn letzteren spüre ich am eigenen Leib und kann ihn doch nicht bezwingen.«
Er trat ein paar Schritte zurück und wandte sich ab.
»Du kannst auch über den Flur gehen, um in das Zimmer zu gelangen. Sieh es dir mal an, vielleicht gefällt es dir ja.« Die Kühle war wieder in seine Stimme zurückgekehrt.
»Und noch etwas, Gerswind, wenn du wieder einmal etwas von mir willst, bitte mich einfach darum. Ich habe bestimmte Formen von Tauschhandel in meinem Reich untersagt und werde mich selbst auch nicht darauf einlassen. Biete mir also nie wieder etwas an, was du mir nicht aus freiem Willen und ganzem Herzen zu geben bereit bist.«
Gerswind trat einen Schritt auf ihn zu.
»Aus freiem Willen und ganzem Herzen …«, begann sie mit fester Stimme.
»Ja?« unterbrach er sie und wandte sich ihr wieder zu.
»… möchte ich jetzt mit dir in das Zimmer gehen«, sie deutete durch die immer noch offene Tür seines Schlafgemachs und nahm all ihren Mut zusammen, »… und dort endlich wieder bei dir liegen.«
Mißtrauisch musterte er Gerswind.
»Ausnahmsweise keine Hintergedanken?« fragte er nüchtern. »Warum dieser plötzliche Sinneswandel?«
»Mein Sinn hat sich nie gewandelt«, sagte sie. »Ich liebe dich, Karl. Habe dich immer geliebt. Und ich möchte dir nie wieder fern sein.«
Es war heraus.
Sie hob den Kopf und sah den Kaiser trotzig und herausfordernd an. Er durfte nicht merken, wie bang ihr zumute war. Diesmal hatte sie kein Gewand abgestreift, sondern ihm ihr Herz geöffnet. Eine Zurückweisung würde sie zerbrechen, dessen war sie sich gewiß.
Karl schwieg. Seine Miene war unergründlich. Gerswind zwang sich, ihre Lider nicht vor dem prüfenden Blick aus den metallenen Augen zu senken. Wenn Karl in ihr Innerstes sehen könnte, würde er erkennen, daß sie die Wahrheit sprach.
Nach schier unendlicher Zeit schmolz das Eis im Blick des Kaisers.
»Endlich«, sagte er leise und näherte sich ihr, »endlich!« Er legte seine Arme um sie und setzte hinzu: »Du sollst eines wissen, Gerswind, ich lasse dich niemals wieder gehen!«
Wohin auch, dachte Gerswind, als sie ihren Kopf an seine Brust lehnte. Friede zog in ihr Herz ein. Ich bin angekommen. Karl ist mein Heim.
Ein Heim, das ihr in den kommenden sechs Jahren nicht nur Glück und Freude brachte, sondern auch viel Leid. Von den drei Kindern, die ihr der Kaiser in dieser Zeit zeugte, war nur das erste lebend zur Welt gekommen, und auch jener Sohn verschied nach wenigen Wochen.
Ängstlich faßte sich Gerswind in diesem Frühsommer des Jahres 810 an den Bauch. Sie war schon wieder guter Hoffnung. Niemand wußte davon. Auch nicht ihr Schützling Judith, die demnächst fünfzehn werden würde und zum schönsten und klügsten Geschöpf herangereift war, das Gerswind je gesehen hatte.
Es war eine Freude, sie um sich zu haben, und es erschien ihr fast als Auszeichnung, dem wißbegierigen Mädchen im Laufe der Zeit alles mitzuteilen, was sie wußte. Gerswind hielt sich an das Versprechen, das sie Geva an der Stätte der Macht gegeben hatte. Doch da es sie den Kopf kosten konnte, wenn am Hof ruchbar wurde, daß sie Judith in heidnische Geheimnisse einweihte, ging sie sehr behutsam vor. Judith begriff schnell und erwies sich als äußerst gelehrige Schülerin. Erst kürzlich war sie im Kräutergarten des Hofes vor den Augen der Tante zu Liebstöckel unter Liebstöckel geworden, etwas, das Gerswind selbst später heimlich versuchte, aber bei allem Bemühen nicht zuwege brachte. Sie erkannte, daß in Judith weitaus größere Kräfte steckten, und
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