Die Beutefrau
übertrage. Zustimmende Jubelrufe ertönten, und dann versank der Kaiser für lange Zeit im Gebet.
Von der Empore aus beobachtete ihn Gerswind voller Unruhe. Wie lange wollte er noch beten? Wartete er auf ein Wunder? Auf was für eines? Daß Ludwig tot umfällt. Das wäre ein Wunder gewesen, auf das sie selbst gehofft hätte. Eilig verdrängte sie den bösen Gedanken, der weder in eine christliche Kirche paßte noch zu ihrem Vorsatz, den Kaiser nur noch glücklich zu machen.
Sie spürte das erleichterte Aufatmen der anderen Anwesenden, als sich Karl endlich wieder erhob und mit leiser Stimme seinem Sohn Ludwig befahl, für alle Schwestern, Brüder, Neffen, Nichten und anderen Verwandten gut zu sorgen, Klöster und Arme zu unterstützen und sich eines vorbildlichen Lebenswandels zu befleißigen.
»Nimm die Krone!« wies der Vater den Sohn an, »und setze sie dir aufs Haupt.«
Gerswind hielt den Atem an. Bis zum Vorabend hatte sich Karl mit Ludwig über die Art und Weise der Krönung gestritten. Wenn schon kein Papst da war, dann sollte ihm der eigene Vater wenigstens die Krone aufs Haupt setzen. Aber Karl hatte abgelehnt.
Und dazu lieferte er noch in der Pfalzkapelle eine Erklärung: »Gott hat mir das Recht verliehen, Kaiser des Reichs zu sein. So hätte auch ich mich vor dreizehn Jahren hier in Aachen selbst krönen können.« Er sah zu dem Jesusbild hinauf, mit dem er von seinem schlichten Thron aus so oft Zwiesprache hielt. »Der Kaiser ist Gott unmittelbar verantwortlich. Kein Sterblicher darf sich dazwischenstellen. Und so wie mein Sohn sich selbst die Krone aufs Haupt setzt, so sollen es seine künftigen Nachfahren auch tun.«
Nach Ludwigs Krönung kehrte der neue Mitkaiser nach Aquitanien zurück, und Karl begab sich wieder ans Regieren. Gerswind bemerkte, daß er gelöster erschien, als sei eine schwere Last von seinen Schultern genommen. Sein Schritt war wieder gleichmäßiger, die Gicht machte ihm weniger zu schaffen, und er scherzte wieder wie früher mit den jüngeren Töchtern und seinen Enkelinnen, den Töchtern Pippins.
»Allein der Gedanke, jetzt ein wenig Verantwortung abgeben zu können, läßt mich freier atmen«, sagte er eines Abends zu Gerswind. »Gott wird Ludwig gewiß helfen, das Richtige zu tun. Ich fühle mich fast wieder so kräftig wie in meiner Jugend. Hast du Lust, in diesem Herbst mit mir in die Ardennen zu reiten?«
»Willst du die Auerochsen wieder das Fürchten lehren?« fragte sie.
»Ich weiß, daß dir die Jagd zuwider ist«, erklärte er. »Aber ich möchte keine Nacht mehr ohne dich an meiner Seite verbringen.«
Sie ritt mit. Und war bei ihm, als ihn während des Jagdausflugs ein Fieber befiel. Er mußte auf einem Wagen nach Aachen zurückgebracht werden. Eine Zeitlang bangte der gesamte Hof um das Leben des Kaisers, denn er schien nicht wieder zu erwachen. Die Erinnerungen an den Tod des jungen Karl waren noch sehr lebendig.
Kurz vor dem Weihnachtsfest des Jahres 813 schlug der Kaiser die Augen auf. Sie waren wieder klar.
»Den Auerochsen habe ich es aber gezeigt«, sagte Karl zu Gerswind, die unablässig an seinem Lager gewacht hatte. Er richtete sich mühsam auf, forderte einen Kuß ein und verlangte augenblicklich nach einem ordentlichen kroß gebackenen Spießbraten, an dem das Fett nur so herunterlaufe.
»Nein, es gibt Suppe!« versetzte Gerswind, während ihr Freudentränen über die Wangen liefen. Alles war gut! Karl würde wieder gesund werden!
Jeder verstand, daß der immer noch geschwächte Kaiser die Weihnachtsfeierlichkeiten vorzeitig verließ und sich in sein Gemach zurückzog.
Als Gerswind eintrat, saß er vor dem dreiteiligen silbernen Tisch, auf dem die Karte des gesamten Erdkreises, des Sternenhimmels und die Planetenbahn in herausgehobenen Zirkeln zu sehen waren. Auf diesem Tisch lag ein funkelndes Diadem. Karl winkte Gerswind zu sich heran.
»Hast du dich nicht gewundert, daß ich dir zum Fest keine Gabe gemacht habe?« fragte er lächelnd.
»Nein«, erwiderte sie. »Es ist mir Gabe genug, daß du dich wieder auf dem Weg der Besserung befindest.«
»Sobald ich gänzlich genesen bin, werde ich ein großes Fest ausrichten lassen«, sagte er geheimnisvoll, griff zu dem Diadem und setzte es Gerswind auf das Haupt. »Und du wirst dabei diese Krone tragen, die ich für dich habe anfertigen lassen.«
»Ein viel zu aufwendiges Geschenk«, wehrte Gerswind ab und griff sich an den Kopf.
»Halt ein! Setz es nicht ab! Ich will den Anblick noch eine
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