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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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die Frau unseres Bruders Karlmann, Luitberga, die Gemahlin Tassilos von Bayern, deine eigene Ehefrau Desiderata …«
    »Du selbst hast mir doch damals ans Herz gelegt, das Gerippe dem Vater zurückzuschicken«, entgegnete Karl gereizt. Es behagte ihm nicht im geringsten, daß seine Schwester auf ein politisches Thema umgeschwenkt war. Wenn er sich darauf einließ, bestand kaum noch die Möglichkeit, zum alten vertrauten Verhältnis zurückzukehren. »Das Langobardenreich ist tot«, setzte er abwehrend hinzu.
    »Aber alle diese Töchter des Desiderius leben noch«, trumpfte Gisela auf, »ebenso wie die meisten Franken, die sich damals von dir abgewandt haben. Wirst du diese Leute denn auch mit süßen Worten besänftigen, wenn sie sich nun mit den Awaren zusammentun und mit den Sachsen …«
    »Die sind durch Widukinds Taufe endgültig bezwungen«, unterbrach Karl. »Das hellblonde Mädchen, das soeben mit meinen Kindern hereinstürzte, ist übrigens seine Tochter.«
    »Ah, du nährst also die Schlange an deiner Brust!«
    »Keinesfalls, sie ist dem Christentum ergeben und mir so lieb wie eine eigene Tochter.«
    »Deswegen wird sie bei den Sachsen-und-Franken-Spielen der Kinder wohl auch geköpft oder ins Wasser geworfen?« fragte sie und setzte hinzu: »Schön. Dann wird es dir also nicht schwerfallen, ein weiteres Mädchen wie eine eigene Tochter zu behandeln. Zumal sie es ja sogar ist.«
    Karl legte beide Hände flach auf den Tisch, schloß die Augen und stieß einen Seufzer aus.
    »Was soll Einhard nur über ihre Mutter schreiben?« fragte er und legte in diesen Satz die gesamte Verzweiflung, die sich seiner bemächtigt hatte. Wie war es nur möglich, daß der Mensch, der ihm einst am nächsten gestanden und dem er mehr als jedem anderen vertraut hatte, ihm über Jahre hinweg ein solches Geheimnis verschwieg? Nie hätte er gedacht, daß ihm seine Schwester derart fremd werden könnte. Er wünschte, sie wäre nicht gekommen. Dann hätte er das Bild seiner ihn liebenden Schwester weiterhin voller Innigkeit in seinem Herzen verwahrt. Jetzt verlor es mit jedem Wort Giselas an Konturen.
    »Wer ist Einhard?« erkundigte sich Gisela kühl.
    »Mein Schreiber«, murmelte Karl, »und der Mann, der mir in Aachen meine Heimatpfalz erbauen wird.« Er sah seiner Schwester tief in die Augen und gab ihr noch eine Gelegenheit, in sein Herz zu blicken: »Du weißt doch, wie trostlos die Herumzieherei von Pfalz zu Pfalz sein kann, Gisela. Überall ist man willkommen und doch nirgendwo zu Hause. Darunter haben wir als Kinder gelitten. Unsere Mutter war in Prüm verwurzelt, und du hast jetzt Chelles. Auch ich sehne mich nach einem Ort, den ich Heim nennen kann.«
    »Was haben ein Schreiber und ein Baumeister mit unserer Hruodhaid zu schaffen?« fragte Gisela ungerührt.
    »Er soll für die Nachwelt die Geschichte unseres Geschlechts niederschreiben. Und wenn ich Hruodhaid als meine Tochter anerkenne, wird er den Namen der Mutter wissen wollen.«
    Gisela lachte, und ihre Stimme klang unangenehm schrill in Karls Ohren. »Die Geschichte unseres Geschlechts … Das ist zu komisch, lieber Bruder! Was hat er denn bloß über deine Geburt und deine frühen Jahre geschrieben?«
    »Das, liebe Gisela, geht dich überhaupt nichts an«, gab er zurück, und um keinen Zweifel daran zu lassen, wer bei dieser Begegnung das Sagen hatte, verfiel er in seinen Befehlston: »Und du kehrst unverzüglich mit deiner Hruodhaid nach Chelles zurück.«
    Gisela sah ihm fest in die Augen. »Unsere Hruodhaid ist ein außergewöhnlich kluges Mädchen. An deiner Hofschule unterrichten die besten Lehrmeister der Welt. Unsere Tochter wird ihren Unterweisungen mühelos folgen können, denn ich habe sie gut vorbereitet. Ich habe sie alles gelehrt, was ich weiß. Und jetzt hat sie ein Recht darauf, die beste Ausbildung zu erhalten. Denk doch mal darüber nach, Karl …« Sie stand auf, beugte sich so weit über den Tisch, daß ihr Gesicht beinahe das seine berührte, und sprach mit der sanften Stimme, die er in seiner Erinnerung wie einen Schatz hütete: »… in ihr ist das Beste von dir und mir vereinigt.«
    Sie schritt zur Tür, wandte sich noch einmal um und bemerkte kühl: »Ich gebe dir eine Nacht, um über das Schicksal unserer Tochter zu beschließen. Morgen kehre ich nach Chelles zurück.«
    Karl starrte noch lange auf die Tür, die sich hinter Gisela und somit hinter einem wichtigen Teil seiner Vergangenheit geschlossen hatte. Es war nur ein kleiner Trost,

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