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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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tiefe Furchen und Löcher in den Weg gegraben, den Teles jetzt einschlug.
    »Wohin gehen wir?« fragte Gerswind neugierig.
    Teles schirmte seine Augen gegen die Strahlen der Morgensonne ab und deutete auf eine Eiche, die nahe dem Fluß eine Anhöhe krönte.
    »Weißt du, wem dieser Baum geweiht ist?« fragte er.
    »Donar«, antwortete Gerswind flüsternd.
    »Wem hast du davon erzählt?«
    »Niemandem!« erwiderte die Zehnjährige empört.
    »Nicht einmal Rotrud?«
    Gerswind schüttelte den Kopf. »Sie spielt jetzt lieber mit Rorico«, sagte sie niedergeschlagen. »Da hätte sie genausogut nach Ostrom gehen und den Kaiser heiraten können! Sie war doch so lange mit ihm verlobt und hat mit dir Griechisch gelernt. Ich verstehe nicht, warum der König die Männer weggeschickt hat, die sie zur Hochzeit abholen sollten!«
    »Du weißt doch, wie sehr König Karl seine Töchter liebt. Vielleicht war ihm Byzanz einfach zu weit weg«, schlug Teles vor. »Er hat ja auch nicht zugelassen, daß seine Berta den Sohn des Königs von Mercien heiratet.«
    Teles konnte sich an den Aufruhr, den diese Brautwerbung vor zwei Jahren verursacht hatte, noch gut erinnern. Angefangen hatte alles mit besten Absichten. Karls bedeutendster Berater, der northumbrische Mönch Alkuin, hatte sich vorgenommen, die Beziehungen des Frankenreichs zu den angelsächsischen Herrschern zu verbessern. Also besuchte er mit Karls gleichnamigem Sohn die drei Königreiche seiner Heimatinsel. Der junge Karl verliebte sich Hals über Kopf in die Tochter des Königs von Mercien und bat um ihre Hand. Doch König Offa schwebte eine Doppelhochzeit vor, die den neuen Beziehungen noch mehr Festigkeit verleihen würde. Er verlangte, Karls Tochter Berta im Gegenzug mit seinem Sohn Egfried zu verheiraten.
    König Karl tobte vor Wut, als ihm dieser Vorschlag unterbreitet wurde. Was fiel diesem Zaunkönig von der überaus unwirtlichen Insel im Norden eigentlich ein! Seine schöne, kluge und von großem Reichtum umgebene Tochter Berta sollte in solch einem barbarischen Königreich verkümmern? Über das ein Mann herrschte, der sich selbst zum König von England ernannt hatte! Welch eine Anmaßung! Empört befahl Karl, alle seine Seehäfen für die Schiffe des Königs von Mercien zu sperren, und ließ sich auch von seinen höchst besorgten Ratgebern nicht umstimmen. Alkuin hatte als einziger gewagt, Karl darauf hinzuweisen, daß Offa schließlich nicht der einzige König war, der sich selbst zum Herrscher über ein Reich ernannt hatte …
    »Beinah hätte es darüber Krieg gegeben«, murmelte Teles vor sich hin.
    »Ich bin froh darüber«, sagte Gerswind.
    »Worüber?« fragte Teles erstaunt.
    »Daß Carolino die Tochter des Königs von Mercien nicht geheiratet hat«, flüsterte Gerswind, und eine feine Röte überzog ihr Gesicht.
    Teles blieb abrupt stehen und beugte sich zu seiner kleinen Begleiterin hinab.
    »Weil du ihn selbst so sehr magst?« fragte er leise und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: »Carolino, also. So, so.«
    Gerswind wich seinem Blick nicht aus. »Das ist mein Geheimnis«, sagte sie laut und deutlich. »Und du mußt mir bei Saxnot und Donar schwören, daß du es für dich behältst!«
    »Wenn du mir bei diesen Göttern auch schwörst, daß du das große Geheimnis bewahrst, das ich dir jetzt offenbaren werde«, erwiderte Teles ernst.
    »Ich schwöre.«
    »Ich schwöre.«
    Teles deutete auf den etwa hundert Schritte entfernten Waldrand.
    »Geh immer geradeaus, Gerswind. Bis du zu einem hohen Felsstein mit runder Kuppe gelangst. Dahinter befindet sich dein Geheimnis. Ich warte hier auf dich.«
    Er ließ sich mitten auf dem Feld nieder und schloß die Augen. Unsicher blickte Gerswind auf den alten Mann, der sich plötzlich so gab, als wäre er unsichtbar. Sie tat einige Schritte in die Richtung, die er ihr gewiesen hatte, und wandte sich dann wieder um. Teles schien verschwunden zu sein, aber dort, wo sie ihn verlassen hatte, sah sie einen etwas dunkleren Fleck. Er ist zu Gras unter Gräsern geworden, dachte sie beeindruckt. Das kann ich noch nicht, das muß er mir zeigen!
    Sie bat den Wald um die Erlaubnis einzutreten und wartete, bis sie dem sachten Rascheln der Blätter Zustimmung entnahm. Die Zweige der niedrigen Sträucher schienen sich vor ihr zur Seite zu neigen, kein Dorn ritzte ihre Haut, keine Wurzel brachte sie zum Stolpern, kein Insekt störte sie. Das Unterholz selbst schien ihr den Weg zu weisen. Sie blieb einen Augenblick vor dem Felsen mit

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