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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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abgelegenen Kloster in Westfalen erzogen. Sie hätten sich ihm und den Ahnen entfremdet, hatte Widukind voller Enttäuschung berichtet. Seine Hoffnungen ruhten also auf ihr, auf Gerswind. Aber welche Hoffnungen, welche Erwartungen setzte er in sie, die doch erst zehn Jahre alt war? Das Mädchen hatte seinen Worten aufmerksam gelauscht, aber jetzt, viele Stunden nach der Begegnung, schien ihr, als enthalte seine Rede Widersprüche. Er hatte sie gemahnt, den Glauben der Ahnen nicht zu verraten, sie aber gleichzeitig dazu aufgefordert, den Gott der Christenheit zu ehren. War denn beides miteinander vereinbar? Er hatte sie zu Heimlichkeiten beauftragt, aber auch verlangt, daß sie König Karl mit Ehrlichkeit begegne. Sie solle sich an fränkische Gesetze und Sitten halten, doch daneben das sächsische Brauchtum bewahren. Gerswind schüttelte den Kopf. Der Vater hatte ihr unlösbare Aufgaben gestellt! Warum hatte sie das nicht erkannt, als er ihr im Schatten des Felsens den Schwur abverlangte? Sie hatte ihre Hand auf das weiße Pferd seines Wappens gelegt und die Worte wiederholt, die ihr der Mann im schlichten Gewand vorgesprochen hatte. Jetzt plagte sie ihr Gewissen. Wie konnte sie Saxnot anrufen, ohne Jesus zu beleidigen?
    Sie beschloß, zur Stätte der Macht zurückzukehren.
    Auch wenn Widukind sich dort nicht mehr aufhielt, so würde ihr der Ort selbst vielleicht durch ein Zeichen verständlich machen, wie sie diesen Widerspruch auflösen und ihre Aufgaben bewältigen könnte.
    Gerswinds geschärfte Sinne vernahmen die Stimmen, schon lange ehe sie den Felsen erreicht hatte. Sie näherte sich äußerst behutsam. Als sie die vier Menschen vor dem Stein mit der abgerundeten Kuppe sehen und verstehen konnte, verharrte sie still und wurde zu einem Baum unter Bäumen.
    Als erstes erkannte sie Pippin, den ältesten Sohn des Königs. Sein schönes Gesicht lag zwar im Schatten, doch der Buckel hob sich im Morgengrauen deutlich gegen die Felswand ab.
    Die Frau, die auf Pippin einsprach, hatte Gerswind noch nie gesehen.
    »Wenn der Anschlag gelingt«, sagte diese jetzt, »und mein Gemahl in Bayern wieder eingesetzt ist, wird er dir als König huldigen und Treue schwören.«
    »Ein sehr fragwürdiger Treueschwur, Luitberga, so wie wir deinen Gemahl Tassilo kennen«, erklang eine junge spöttische Männerstimme. »Wie sein Vater Odilo hat auch er seine Treueide oft genug gebrochen.«
    »Welch gewagter Vorwurf aus einem Sachsenmund!« erklärte Luitberga höhnisch. »Ihr habt gleich zuhauf den König verraten und Gesandte zu den Awaren geschickt. Schon wieder verbrennt ihr unsere Kirchen – wehe euch, wenn ihr Sachsen dies auf bayerischem Grund tut! –, und jetzt habt ihr auch noch die Friesen wieder vom wahren Glauben abgebracht!«
    »Still!« versetzte Pippin. »Unter uns darf kein Streit sein! Langobarden, Sachsen, Awaren, Friesen und all jene Franken, denen Karl unrecht getan hat, müssen Frieden halten, wenn unser Unternehmen von Erfolg gekrönt sein soll. Sorge dich nicht, verehrte Tante Luitberga, kein Sachse wird es wagen, an diesem Felsen die Unwahrheit zu reden oder falsch zu schwören. Dieser Stein ist ihm heilig.«
    Das zumindest verstand Gerswind, der Baum. Doch sie war beunruhigt, da ihr der Sinn der vorangegangenen Rede nicht aufging. Wie konnte Karls unehelicher Sohn Pippin der Bucklige denn König sein, da doch der ehelich geborene andere Pippin König von Italien war? Um was für einen Anschlag ging es? Offensichtlich um einen, der Frieden zwischen den Völkern bringen sollte. Das war doch etwas Gutes! Aber warum klangen dann die Stimmen so bedrohlich? Wem hatte Karl unrecht getan? Was wollten die vier Erwachsenen, die sich so früh am Morgen an jener Stelle eingefunden hatten, wo sie am Tag zuvor ihren Vater getroffen hatte? Als ganz unvermittelt dessen Name fiel, wären ihr vor Schreck fast die Zweige abgefallen: »Sehr bedauerlich, daß wir nicht mehr auf Widukind setzen können«, meinte ein rundlicher kleiner Mann.
    »Seine Zeit ist vorbei. Er ist alt, schwach und krank«, hörte Gerswind den Mann erwidern, der als Sachse bezeichnet worden war. Sie war empört. Auch sie hatte ihren Vater nicht gerade als Musterbild strotzender Kraft erlebt, aber die Tatsache, daß ein Fremder so abwertend über ihn sprach, ließ ihn in ihrem Geist wachsen und stattlicher werden. Der Mann wandte sich an einen anderen, von dem Gerswind nur den Rücken sah: »Können wir euren Fardulf nicht für uns gewinnen? Der Kaplan

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