Die Beutefrau
deren Eingeweihte auszumachen und des Majestätsverbrechens anzuklagen. Eine Woche später wurde vierundvierzig Männern der öffentliche Prozeß gemacht. Der König hielt es für unklug, im Machtzentrum Bayerns Tassilos Gemahlin Luitberga zum Tode zu verurteilen. Er belegte sie lediglich mit Klosterhaft. Ihr bereits im Kloster lebender Gemahl, dem keine Beihilfe nachzuweisen war, wurde aufgefordert, vor dem Reichstag in Regensburg zu erscheinen, Buße zu tun und endgültig öffentlich abzudanken. Die meisten Verschwörer wurden zum Tode verurteilt, und nur wenige kamen mit Blendung, Geißelung und Landesverweis davon.
Der König zwang Pippin, am Hinrichtungstag bei der Vollstreckung der Todesstrafen zuzusehen. Das Urteil über seinen ältesten Sohn hatte er sich bis zuletzt vorbehalten. Linnenbleich sah der Dreiundzwanzigjährige zu, wie seine Gefährten geköpft, aufs Rad geflochten, gehenkt, gevierteilt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Karl hatte angeordnet, daß sich die jüngeren Kinder seines Hofs am Hinrichtungstag mit ihren Lehrern die alten römischen Stätten am anderen Ende der Stadt Regensburg ansehen sollten. Doch Gerswind glückte es wieder einmal, sich von der Gruppe zu lösen, zur Residenz zurückzukehren und sich unauffällig zu den Zuschauern der Hinrichtungen zu gesellen. Sie wollte mit eigenen Augen sehen, wie die Verräter der gerechten Strafe zugeführt wurden, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie diese aussehen würde. Und sie erhoffte, einen Blick auf ihren geliebten Carolino erhaschen zu können.
Ein fremder Mann hob sie auf seine Schultern, damit sie besser sehen konnte. Verzweifelt mühte sich Teles, zu ihr durchzudringen, doch die Leiber standen dicht an dicht, und niemand wollte einen Platz mit guter Aussicht preisgeben. Gerswind starrte entgeistert einen aufs Rad geflochtenen Mann an, sah, wie ein Bediensteter Teile menschlicher Körper einsammelte. Sie wandte die Augen von dem schauerlichen Spektakel ab. Ihr Blick fiel auf Kaplan Fardulf, der am Rand stand und das Geschehen mit offensichtlicher Genugtuung verfolgte. Ein Höfling schlug ihm anerkennend auf die Schulter. Da erst begriff Gerswind, daß ihre eigenen Worte diese grauenerregenden Folgen gezeitigt hatten, und erschrak bis in die tiefsten Eingeweide. Sie war doch nur ein Kind! Sie hatte Schlimmes verhindern wollen – aber vielleicht hatte sie alles verkehrt verstanden! Das Treffen der Verschwörer im Wald kam ihr mit einem Mal unwirklich vor. Hatte sie es vielleicht nur geträumt? Fardulf hatte sie schließlich aufgefordert, das Beobachtete zu vergessen, und sie dringend davor gewarnt, anderen davon Mitteilung zu machen. Sie mußte auf die Bibel schwören, nicht einmal Teles etwas davon zu verraten. Gerswind zupfte am Haar des Mannes, der sie auf den Schultern hielt.
»Genug gesehen?« fragte er amüsiert und setzte sie ab. Eilig schlüpfte das Mädchen zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch aufs freie Feld. Sie wollte Wehklagen und Stöhnen nicht mehr hören, nicht mitansehen, wie der edle Kopf des buckligen Karlssohns vom Rumpf getrennt wurde, kein verbranntes Menschenfleisch mehr riechen. Sie wollte nur noch weg. Und zwar weit weg. Diesmal, das schwor sie sich, als sie den Weg zur Donau hinunterrannte, diesmal würde sie der Hunger nicht zurücktreiben. Sie würde ihren Vater finden und nie wieder an Karls Hof zurückkehren.
Als die Schreie der Gemarterten verhallt waren und Diener damit begannen, Leichen auf Karren zu werfen und Sand auf die Blutlachen zu streuen, wandte sich Karl an seinen verräterischen Sohn.
»Du verdienst das gleiche Los!« zischte er ihm zu. »Entferne deine Gewänder!«
Pippin, der stets große Mühen unternommen hatte, seinen Buckel so gut wie eben möglich unter der Kleidung zu verbergen, starrte seinen Vater haßerfüllt an.
»Da du mir alles andere genommen hast, steht es dir frei, dich an meinem Leben zu bedienen«, sprach er, ohne sich zu rühren. »Zumal es mir deiner Ansicht nach eine Hure geschenkt hat.«
Karl sah zu Fastrada hinüber und erschrak, als er in die neugierig geweiteten Augen der Königin blickte, die ohne merkliche Gemütsregung den Hinrichtungen beigewohnt hatte. Aus den Tiefen seiner Erinnerung tauchte Himiltruds sanftes und doch starkes Gesicht auf – die Verzweiflung, die sich darin gespiegelt hatte, als er ihr den kleinen Knaben Pippin entriß, um ihn zum Kronprinzen zu erziehen. Ebendiesen Knaben, der ihm jetzt nach dem Leben
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