Die Beutefrau
kann doch unmöglich die Schmach vergessen haben, die den Seinen angetan wurde! Er mag zwar jetzt an Karls Hof dienen, aber er bleibt dennoch ein Langobarde.«
»Fardulf hat keine Ehre, strebt nach Macht und genießt das Vertrauen des Königs«, erwiderte der Angesprochene verächtlich. »Er ist ein Verräter und soll gleichfalls sterben.«
Fardulf sollte sterben? Es fiel dem Baum immer schwerer, still zu bleiben. Fardulf hatte sich als Freund erwiesen, als er Gerswind von der Eiche herunterholte, auf die sie sich vor den Köpfungsversuchen von Karls Kindern gerettet hatte. Freundschaft war wichtiger als alles andere, hatte ihr Teles eingebleut, und schon jener Mensch sei glücklich, der nur den Schatten eines Freundes gefunden hätte.
»Der König und seine gesamte Brut werden sterben!« verkündete Luitberga zu Gerswinds Entsetzen. Nein, hier wurde wahrlich nichts Gutes geplant!
»So soll es sein«, versicherte Pippin. »Morgen um diese Zeit sind sie alle tot. Ich schwöre, daß ich als König aller Franken den Sachsen und Langobarden ihre Länder zurückgeben und mit ihnen Frieden schließen werde.«
»Wir haben lange auf diesen Tag gewartet«, seufzte der Langobarde.
»Vorher ging es nicht. Wir mußten schließlich sichergehen, daß Karl von allen seinen ehelichen Kindern umringt ist. Und wir müssen sofort handeln, da Karlmann, dieser Schwächling, dem man meinen Namen zu geben die Stirn hatte, mit seinem Bruder in den nächsten Tagen gegen Herzog Grimoald in Benevent vorgehen soll.« Pippin machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr: »Ich habe mich einen Nachmittag lang schrecklichen Qualen aussetzen müssen, damit ich vom Hof aus das Treiben im Palatium genau beobachten konnte.«
Er schnaubte: »Drinnen bin ich nicht willkommen. Fastrada hat mir unmißverständlich deutlich gemacht, wie sehr mein Anblick ihren Kopf schmerzen läßt. Sie empfahl mir, mich nach dem Himmel zu strecken. Nun, fürs erste genügt mir der Thron. Und so wird es geschehen: Nach Sonnenuntergang begibt sich mein Vater in das große Innengemach, wo er sich eine Zeitlang mit allen Kindern aufhält. Einer unserer Getreuen hat in Öl getränktes Werg im Fachwerk der Wände versteckt. Wenn die Karlssippe versammelt ist, wird an all diesen Stellen gleichzeitig das Feuer durch Löcher in der Wand entzündet werden. Die beiden Türen werden von außen verriegelt sein. Bis Hilfe gekommen ist, steht die Kammer lichterloh in Flammen, und alle darin sind verbrannt.«
Eine furchtbare Vorstellung. Gerswind begann zu zittern. Sie biß die Zähne fest aufeinander.
»Was geschieht mit Fastrada?« fragte der Sachse.
»Die Königin«, Pippin spuckte das Wort fast aus, »wird kurz vor der Zusammenkunft die Nachricht erhalten, daß ihre Anwesenheit ebenfalls erwünscht ist. Doch nicht nur Karl, Fastrada und seine Kinder werden sterben. Dies ist ein Krieg, und in jedem Krieg kommen auch Unschuldige ums Leben. Zum Beispiel Widukinds Tochter. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Und da ihr Sachsen euch wieder erhoben habt, ist das Leben dieser Geisel sowieso verwirkt.«
Noch lange nachdem die Verschwörer die Stätte der Macht verlassen hatten, stand Gerswind reglos da. Sie hatte längst vergessen, was sie ursprünglich an diesen Ort geführt hatte. In ihrem Kopf jagten sich die Gedanken. Sie war nur ein Kind, aber was konnte sie tun, um das Böse abzuwenden, das hier offensichtlich geplant worden war? Und was bedeutete es, daß ihr Leben sowieso verwirkt war? Ein leiser Windhauch fuhr durch die Blätter und ein erneutes Zittern durch Gerswinds Körper. Rasch zog sie ihre Wurzeln zurück, eilte durch das Waldstück und über das Feld zu jenem Fachwerkgebäude, das der Königsfamilie in Regensburg als Palatium diente. Doch König Karl war bereits zur Reichstagssitzung im alten Römerkastell aufgebrochen.
»Wohin so geschwind am frühen Morgen?« rief ihr eine wohlbekannte Stimme zu. »Jagen dich schon wieder die bösen kleinen Franken?«
Gerswind schüttelte den Kopf und stürzte auf den Kaplan Fardulf zu, der vor der Hofkapelle stand, einem ehemaligen Heiligtum der Römer, das bereits dreihundert Jahre zuvor dem Christentum geweiht worden war.
»Es ist etwas ganz Furchtbares geschehen!« keuchte sie und zog den gebürtigen Langobarden durch die offene Tür ins Gotteshaus. Kopfschüttelnd ließ es der Kaplan geschehen.
Karl hielt streng Gericht. Seinen Männern war es innerhalb weniger Tage gelungen, die Rädelsführer der Verschwörung und
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