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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Todesurteil.
    »Hast du etwa die Pocken oder eine andere üble Krankheit?« fragte Fastrada scharf.
    Gerswind schüttelte den Kopf. Sie erkennt mich nicht! Sie erkennt mich nicht! Danke, Wald, danke, Wespen!
    Doch bei den nächsten Sätzen der Königin erschrak sie bis ins Mark.
    »Schön, wenn das also keine Krankheit ist, kommst du mit mir nach Aachen. Ich brauche dort eine tüchtige Näherin. Wir reisen gleich ab.«

4
    Frankfurt
    Im Jahr 794
    Gerswind erwog augenblicklich die Flucht. Wenn ihre Schwellungen nach wenigen Tagen abgeklungen sein würden, würde die Königin sie erkennen und den Henkern ausliefern. Dessen war sie sich sicher. Sie sah nur einen Ausweg: der Witwe Gislind auf dem Weg zurück zur Tuchmacherei einfach davonzulaufen.
    Doch daraus wurde nichts. Bereits reisefertig, rief Fastrada sofort zum Aufbruch und ordnete Gerswind ihrem Gefolge zu. Dem Mädchen wurde nicht einmal Zeit gegeben, sich von den Frauen im Genitium zu verabschieden oder ihre wenigen Habseligkeiten mitzunehmen. Da der Zug der Königin von Karls Reitern – einer Scara – schwer bewacht wurde, war auch auf der Reise an Flucht nicht zu denken. Gerswind blieb nichts als die Hoffnung, daß sie unter den anderen hinter und neben den Karren gehenden Mägden und Knechten nicht weiter auffallen würde.
    Während sie von morgens bis abends einen Fuß vor den anderen setzte, überlegte sie immer wieder, ob die Königin sie nicht doch erkannt haben könnte. Aber nein, dann hätte Fastrada sie sofort festnehmen lassen, beruhigte sie sich.
    Vielleicht war sie ja in den knapp zwei Jahren seit ihrer Flucht vom Königshof tatsächlich so gewachsen und hatte sich so verändert, daß man sie nicht mehr erkennen konnte. Das bestätigte sich, als sie drei Tage nach der Abreise an einem Bach plötzlich Fastrada gegenüberstand.
    »Und wer magst du wohl sein?«, fragte die Königin stirnrunzelnd.
    »Eure neue Näherin, verehrte Königin«, murmelte Gerswind und versank in eine tiefe Verbeugung.
    »Ach, das Pockengesicht!« erinnerte sich Fastrada. »Bleib bloß den Pferden fern, daß sie bei deinem Anblick nicht scheuen!« Lachend wandte sich die Königin wieder ab.
    Gerswind fuhr sich übers Gesicht. Die Stiche waren inzwischen zu kleinen roten Pünktchen geworden, aber für Fastrada sollte sie wohl das Pockengesicht bleiben. Das konnte ihr nur recht sein.
    Als ein Knecht am Abendfeuer erleichtert feststellte, daß man am nächsten Tag wohl endlich Frankfurt erreichen würde, erkundigte sich Gerswind, wie viele Tagesreisen es dann noch bis nach Aachen seien.
    »Was kümmert dich Aachen?« fragte der Knecht verwundert.
    »Die Königin sagte, daß sie meine Dienste in Aachen braucht«, erwiderte Gerswind.
    »Das hätte sie wohl gern!« meinte der Knecht lachend. »Aber der König wünscht ihre Anwesenheit in Frankfurt, und dem hat sie sich zu fügen.« Kichernd setzte eine Magd hinzu: »Zum Glück läuft es nicht immer nach dem Willen der Königin.«
    »Zum Glück«, wiederholten mehrere gedämpfte Stimmen am Feuer. Nein, Fastrada hatte die Herzen der Dienerschaft wahrlich nicht erobert.
    Auf weiteres Nachfragen erfuhr Gerswind, daß König Karl mit seinem Hof bereits seit einem halben Jahr auf der Frankfurter Pfalz weilte und dort jetzt eine sehr wichtige Reichsversammlung abhalten wollte.
    »Ein Konzil«, sagte der Knecht mit getragener Stimme. »Das kann Monate dauern. Erst danach sollen die neuen Gebäude in Aachen bezogen werden.« Er bedachte Gerswind mit einem freundlichen Lächeln: »Aber es wird auch in Frankfurt genug für dich zu tun geben. Zu so einem Konzil kommt eine Vielzahl belangreicher Herrschaften aus der ganzen Welt, und die Königin wird sie alle mit ihrem Putz blenden wollen.«
    Er musterte Gerswind genauer. »Kenne ich dich nicht? Hast du dich nicht schon früher einmal am Königshof aufgehalten?«
    »Nein, nein, ich war immer in Prüm«, log Gerswind und rückte ein wenig vom Feuer ab, da ihr plötzlich sehr heiß geworden war. Sie konnte sich an diesen Knecht nicht erinnern.
    »Na ja«, brummte der, »Kinder der Dienerschaft sehen für mich immer alle irgendwie gleich aus.«
    In jener Nacht wälzte sich Gerswind unruhig auf ihrem Lager umher. Ob Carolino sie wiedererkennen würde? Sie vielleicht vor dem Zorn seines Vaters beschützen könnte? Wenn Teles noch lebte, würde er ihr bestimmt zur Flucht verhelfen, und da er in Verbindung mit ihrem Vater stand, ihr auch den Weg zu ihm weisen können. Bis dahin mußte sie sich

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