Die Beutefrau
des Aufstands zu offenbaren. Doch wenn ihr dann der Gedanke kam, welchen Nutzen eine solche Mitteilung ihr oder Pippin brächte, hielt sie inne. Manchmal war es sinnvoller zu schweigen. Nicht nur Teles, auch Alkuin hatte sie am Hof des Königs viel gelehrt.
Anfangs hatte sie noch gehofft, von Pippin Kenntnis über die Vorgänge im Königshaus zu erhalten. Wie ging es Teles? Würde Carolino irgendeine schöne fremdländische Prinzessin heiraten? War Rotrud einem wichtigen Prinzen anvermählt worden, ließ Ludwig jetzt andere kleine Mädchen als Heidinnen köpfen oder ins Wasser werfen, und stotterte Hruodhaid noch immer? Doch Pippin beschied ihr eines Tages freundlich, aber bestimmt, daß er über den Königshof nicht zu sprechen wünsche. Im übrigen unterhalte er überhaupt keine Verbindung zu seinem Vater oder zu den Nestlingen seiner Familie und wünsche dies auch nicht. Sein jetziges Leben fülle ihn aus, und er sei zufrieden.
Der Abt hingegen stand in regem Briefwechsel mit dem Königshaus. Anderthalb Jahre nach Gerswinds Ankunft in Prüm forderte er die Witwe Gislind auf, in einer Sache von höchster Dringlichkeit bei ihm in der Abtei vorzusprechen. Sie möchte sich dabei von jener Weibsperson begleiten lassen, die sich so ausnehmend gut auf die Feinstickerei verstehe.
»So kann ich doch nicht unter Menschen gehen!« wehrte Gerswind ab, als ihr Gislind augenblicklich die Gefolgschaft anordnete. Sie deutete auf ihr Gesicht, das von unzähligen Wespenstichen entstellt war. Mitleidig betrachtete die Witwe das junge Mädchen und sagte aufmunternd: »Niemand wird auf dein Gesicht achten, Linde. Es geht um das Werk deiner Hände, nicht um jenes Werk, das die Wespen mit deiner Haut angerichtet haben.«
Widerspruch war zwecklos. Gerswind fügte sich. Sie zog das Tuch, das ihre Haare bedeckte, tief ins Gesicht und trottete neben Gislind den Hang zur Abtei hinunter.
»Es ist wahrlich ein freudiger Tag«, sagte der Abt, als er mit strahlendem Gesicht den beiden im Klosterhof entgegenkam. »Unser Sankt Goar hat wieder ein Wunder bewirkt. Die Königin hat an seinem Grab gebetet, und er hat sie von ihren Zahnschmerzen geheilt. Und stellt euch vor, jetzt beehrt sie unseren bescheidenen Ort mit ihrem Besuch!«
Gerswind blieb auf der Stelle stehen. Wären ihre Augen nicht so verquollen gewesen, hätten sie sich vor Entsetzen geweitet.
»Die Königin!« stieß sie hervor. »Königin Fastrada ist hier?«
Vor lauter Begeisterung über das Wunder und den hohen Besuch, der vermutlich neue Schenkungen in Aussicht stellen würde, war Gerswinds zerstochenes Gesicht dem Abt zunächst entgangen. Jetzt sah er sie an und blieb betroffen stehen.
»Was ist dir geschehen, Kind?«
»Sie ist im Wald auf ein Wespennest getreten«, erklärte Gislind. Ein böser Wald, dachte Gerswind, er hat mich nicht gewarnt. Böse Wespen!
»Geh nachher zum Bruder Medicus«, sagte der Abt. »Der wird bestimmt ein Kraut kennen, das die Schmerzen lindert und die Schwellungen zurückdrängt. Arnikasud soll hilfreich sein. Du armes Kind, du siehst ja furchtbar aus!«
Schweigend zog sich Gerswind das Tuch noch weiter ins Gesicht.
»Warum sind wir hier?« fragte die Witwe beunruhigt. »Gibt es Beschwerden über unsere Arbeit?«
»Ich hoffe nicht«, erwiderte er. »Die Königin höchstselbst wird euch dazu etwas sagen. Starrt sie nicht an und sprecht nur, wenn ihr gefragt werdet.«
Inzwischen waren sie vor einem Zimmer im Gästehaus der Abtei angekommen. Eine Wache vor der Tür klopfte und ließ dann den Abt und seine beiden Begleiterinnen eintreten.
Gerswind hielt den Atem an, als sie in der Mitte des Zimmers die Königin auf einem Stuhl mit hoher Lehne sitzen sah. Nur allzugern folgte sie Gislinds Beispiel und verharrte in einer tiefen Verneigung.
»Du darfst mich ruhig ansehen, Magd«, vernahm sie die spöttische Stimme der Königin. »Ja, ich befehle dir, mich anzusehen, denn du sollst mir sagen, wer die Stickerei auf meinem Gewand angefertigt hat.«
»Ich«, krächzte Gerswind und hob ein wenig den Kopf. Sie hatte schon beim ersten flüchtigen Blick das dunkelblaue Gewand erkannt, an dem sie in monatelanger Arbeit Ärmel, Ausschnitt und Saum mit einem komplizierten Muster aus Goldfäden und kostbaren Glassteinen bestickt hatte.
»Schau mich an!« Fastradas Stimme klang jetzt sehr ungeduldig. Gerswind hob den Kopf so weit, daß sie aus ihren verquollenen Augenspalten zur Königin hinsehen konnte. Sie wartete auf ihr Urteil. Auf ihr
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