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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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zuvor entfacht hatte, keinesfalls zurückweisen. Der verhüllt vorgebrachte Heiratsantrag war eine andere Sache. Mit Frauen kannte sich Karl aus. Mit Herrschern auch. Irene war beides, und da mußte er doppelt darauf achten, ihrer Eitelkeit keinen Schaden zuzufügen.
    Wie Gerswind hatte er sich gewissermaßen auf die Zehenspitzen gestellt und der Kaiserin die Wange geküßt: Erst wenn er die Schwierigkeiten im eigenen Land gemeistert hätte, würde er sich der ehrenvollen Aufgabe würdig und gewachsen fühlen, ließ er ihr durch den Gesandten mitteilen. Im Auftrag seiner Herrin hatte dieser einen sehr diplomatisch formulierten Heiratsantrag abgesetzt, bei dem allerdings über die Tatsache hinweggegangen wurde, daß Karl bereits verheiratet war. Der König hatte den Gesandten zwar mit ungewöhnlich großem Gepränge empfangen, aber nach dem Abschied durch ein Gebiet begleiten lassen, in dem ihm die Folgen der diesjährigen Hungersnot nicht verborgen bleiben konnten.
    Karl mühte sich, diesmal mit aller Macht gegen das Elend vorzugehen: In Aachen hatte er Bettelvögte eingesetzt, die dem verlumpten Gesindel, das dem königlichen Hofgut zustrebte, Arbeit und Unterkunft geben sollten. Er hatte getobt und geflucht, als ihm zugetragen wurde, daß sich reiche Kaufleute eine geistliche Robe überwarfen, um sich an den Zollstellen vor der Besteuerung zu drücken, sich Gaugrafen korrumpieren ließen, daß Reisende und Pilger zuhauf von Sklavenhändlern eingefangen wurden und Bäcker den Wert des Brotes drückten, indem sie unter das Weizenmehl Kleie, Sägemehl und sogar Erde mengten. Grundbesitzer scherten sich nicht um die königliche Verordnung, den Wald unangetastet zu lassen, sondern zogen mit ihren Leibeigenen in den Forst und rodeten riesige Gebiete.
    In einem Kapitular hatte Karl befohlen, vertriebene Arme und Bettler ansässig zu machen, und dafür große Teile des Awarenschatzes geopfert. Mit der Folge, daß der Goldpreis einen solchen Tiefpunkt erreicht hatte, daß alles im Land nur noch teurer wurde.
    Es war ein schwacher Trost, daß ihm in diesem Hungerjahr kein einziger Fall von Kannibalismus zugetragen wurde. Das war fünf Jahre zuvor anders gewesen. Damals hatte die Mißernte unzählige Menschen dazu gezwungen, sich durch den Verzehr ihrer Nachkommenschaft am Leben zu erhalten und ihre Nachbarn zu überfallen, um sich an deren Fleisch zu laben. Solche Zustände durften sich nicht wiederholen!
    Über die schlimmen Verhältnisse in Konstantinopel sprach er beim Abendessen. Er war überglücklich, nicht nur alle seine Berater, sondern auch endlich wieder die gesamte Familie um sich versammelt zu haben. Pippin (der einstige Karlmann) war mit seiner jungen Gemahlin aus seinem Königreich Italien angereist. Ludwig war immer noch nicht in sein Herrschaftsgebiet Aquitanien zurückgekehrt. Den jüngeren Karl hielt der König ohnehin meistens in seiner Nähe und sandte ihn nur fort, wenn an der Ostgrenze des Reichs ohne große Gefahren wieder Ruhe hergestellt werden mußte.
    Diesem ältesten Sohn unterstand im Gegensatz zu den jüngeren Brüdern kein Königreich, in dem er für Ordnung zu sorgen hatte, und Karl wußte, daß dies am Hof zu allerlei Spekulationen Anlaß gegeben hatte. Er störte sich nicht daran, daß man den jungen Karl gelegentlich mit dem Beinamen ›Kronprinz‹ versah, obwohl es nach salischem Gesetz kein Erstgeburtsrecht gab und abzusehen war, daß er, der alte Karl, zu gegebener Zeit sein Reich unter allen seinen Söhnen genauso gleichmäßig aufteilen würde, wie das sein Vater und Großvater schon getan hatten. Ein fränkisches Königreich war eben teilbar. Ganz im Gegensatz zu einem Kaiserreich, dessen Länder stets nur einem einzigen Herrscher Untertan sein konnten. Dieser Gedanke mußte Karl angesichts der Tatsache, daß er ein großes Reich vereinigt hatte, einfach bestricken. Obendrein war ein Kaiserreich erheblich unanfechtbarer als ein Königreich, ein Kaiser wesentlich unangreifbarer – es sei denn, es herrschten solche Zustände wie im zerbröckelnden Byzanz.
    Doch Kaiser von Irenes Gnaden werden … ein viel zu hoher Preis, dachte Karl, und alles roch danach, daß ihn der Teufel ausgehandelt hatte. Wenn Gott ihn für würdig befand, Kaiser zu werden, würde er ihm mit Sicherheit einen anderen Weg offenbaren. Karl verschloß den Traum von seinem eigenen Kaiserreich zwar vorerst noch in seinem Herzen, hielt aber Augen und Ohren offen, ob der Herr ihm nicht vielleicht doch ein Zeichen

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